Mut zur Lücke

Mutter und Tochter...

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Bärbel: Bärbel
Claudia: Claudia
Mutter: Mutter

Claudia steht auf der Bühne, hat einen Lappen in der einen Hand und eine Matrjoschka-Puppe in der Hand und starrt versonnen darauf. Da klingelt es.

Claudia (dreht sich zur Seite) Ich komme! (geht zur Seite zum Bühnenrand, öffnet eine Tür und Bärbel kommt rein) Ach, hallo Bärbel.

Bärbel (Küßchen, Küßchen) Hallo. Was hast Du da?

Claudia Das ist ein Geschenk zu meinem Geburtstag, von meiner Mutter. (wischt die Matrjoschka ab)

Bärbel Ach ja, die kommt ja heute auch.

Claudia Genau, aus dem fernen Hamburg, direkt zu mir.

Bärbel (guckt sich um) Deswegen sieht es hier so geleckt aus. Ich dachte schon, ich hätte mich im Haus geirrt.

Claudia (verzieht das Gesicht) Blöde Kuh. Dabei bin ich gar nicht fertig geworden. Die Fensterbänke sind noch versifft und gesaugt habe ich auch noch nicht. Aber ich brauch' jetzt eine Pause. (legt den Lappen weg)

Bärbel (grinst) Ich mach doch nur Spaß. (ernster) Deine Mutter war doch schon zwei Jahre nicht mehr hier. Ihr hattet doch damals einen Riesenkrach, oder?

Claudia Bis zu diesem (sucht ein passendes Wort) Vorfall ist sie ja jedes Jahr eine Woche zu uns gekommen. Und es war immer Stress pur. Sie hat mir die Welt erklärt, sie hat an meinem Haushalt herumgemäkelt und hat sich in die Erziehung unserer Kinder eingemischt.

Ich habe immer die Zähne zusammengebissen und war dann immer froh, wenn sie dann wieder gefahren ist. Rüdiger und ich haben uns sogar häufig nach ihrer Abfahrt einen Babysitter genommen und sind dann zur Feier des Tages an dem Abend Essen gegangen.

Bärbel Und was war vor zwei Jahren anders?

Claudia Es war genauso wie immer. Aber diesmal konnte ich nicht mehr. Es fing damit an, dass sie die Wäsche auf der Wäschespinne umsortierte, sie gebrauchte den Begriff „platzsparender“, dann saugte sie noch einmal das Wohnzimmer, obwohl sie gesehen hatte, dass ich es schon eine Stunde vorher gesaugt hatte.

Und dann räumte sie die Gläser in der Küche aus dem Schrank, weil sie der Meinung war, dass es doch viel besser sei, wenn die Gläser da stehen würden, wo jetzt die Tassen und umgekehrt. Als ich dann kurz vorm explodieren war, fing sie mir haarklein an zu erklären, warum die Gläser besser in den Tassenschrank gehörten und umgekehrt.

Dann brüllte ich sie an, dass sie die Finger von meinem Haushalt lassen solle. Ich bin schon erwachsen, schrie ich und alles, was sich sonst noch so aufgestaut hatte.

Dann kam, wie immer, der Spruch „Ich will doch nur helfen“, und in mir gab es keine Bremse mehr. „Deine Hilfe macht mich wahnsinnig! Weißt Du, dass Rüdiger und ich immer feiern, wenn Du wieder gefahren bist!“

Bärbel Ooohhh....

Claudia Und dann ging sie wortlos raus, knallte die Tür, und packte ihre Sachen. Ich hörte sie, ihren Koffer die Treppe runterschleifen und im Flur schwer atmend ihre Jacke und Schuhe anziehen. Vor der Haustür ließ sie sich Zeit. Sie hoffte wohl, dass ich mich entschuldigen würde, aber ich konnte einfach nicht.

Als die Wagentür draußen knallte und sie losfuhr, fing ich an zu heulen, aber ich war auch erleichtert.

Bärbel Und seitdem habt ihr Euch nicht mehr gesehen?

Claudia Nein, wir haben uns nur zu den Festtagen belanglose Glückwunschkarten geschickt. Tja, und dann kam vor ein paar Tagen diese Matrjoschka zu meinem Geburtstag und die Bitte um eine Aussprache. Ich habe zugestimmt. Nun musst Du wissen, dass meine Mutter ein totaler Fan von diesen russischen Puppen ist. Und ich glaube mich zu erinnern, dass dieses Exemplar ein ganz besonderes ist, das sie immer mit so viel Liebe behandelt und geputzt hat.

Bärbel Na, dann ist das doch schön, dass sie Dir diese geschenkt hat.

Claudia Ja, aber unsere kleine Nadine findet diese Puppe auch toll und hat sie letztens mit in den Garten genommen. Wir haben das zu spät gesehen und jetzt fehlt eine von den Mittleren. Wir haben den ganzen Garten abgesucht und nichts gefunden. Meine Mutter wird die Puppe bestimmt in die Hand nehmen und ganz versonnen auspacken und aufstellen, das macht sie immer so. Und wenn eine fehlt, macht sie das verrückt. Und sie wird es schon am Gewicht, am Schütteln, merken.

Bärbel Ihr wolltet Euch versöhnen, oder?

Claudia Genau. (ironisch) Und es ist sicherlich ein guter Anfang, wenn ich noch nicht einmal auf Ihr teures Geschenk aufpassen kann!

Bärbel Nimm doch einfach alle kleinen Puppen raus, pack Kieselsteine in die große Puppe und klebe sie dann zu. Vom Gewicht müsste das dann passen. Und wenn Deine Mutter sie öffnen will, dann sagst Du einfach, dass sie klemmt.

Claudia Was? (guckt ungläubig, überlegt dann) Ne, das geht nicht!

Bärbel Sie ist doch schon älter. Hat sie vielleicht schon ein bisschen Gicht in den Fingern?.

Claudia Jetzt hör aber auf! Vielleicht... (wird durch ein Klingeln unterbrochen, stellt die Puppe hin) Oh, da ist sie schon.

Bärbel OK, dann bin ich weg. Bis heute abend! (verläßt die Bühne)

Claudia (geht zur Tür und kommt mit Mutter wieder rein)

Mutter (zeigt zur Tür) War das nicht Deine Freundin Bärbel?

Claudia Ja, die kommt heute abend auch zur Feier. (beiden stehen schweigend und ratlos herum)

Mutter (schaut sich unsicher um) Es hat sich nicht viel verändert äh, äh, also ich meine, es ist immer noch schön hier.

Claudia Meine Familie und ich sind glücklich hier, wir fühlen uns sehr wohl, so wie es ist!

Mutter Ja, ja, ich ... ich habe Dich in den letzten Jahren sehr vermisst. Ich war zwar sehr verletzt, aber habe viel darüber nachgedacht. Einfach war ich wohl nicht?

Claudia (sagt nichts, hebt hilflos die Hände leicht hoch)

Mutter (geht ein bisschen umher, starrt auf die Fensterbänke)

Claudia (leicht gereizt) Ich bin noch nicht dazu gekommen, die Fensterbänke abzuwischen. Es kam Besuch, da habe ich die Arbeit einfach liegen gelassen und mich um den Besuch gekümmert. Gesaugt ist auch noch nicht!

Mutter Sei doch bitte nicht so gereizt! Ich habe doch gar nichts gesagt.

Claudia Ich seh doch, was in Dir vorgeht. Ich konnte es Dir doch nie recht machen. Egal, was ich wie getan habe, Du hast immer noch mal nachgearbeitet. Und manchmal habe ich Arbeiten auch einfach liegen gelassen, weil ich lieber etwas mit meinen Freunden gemacht habe! (etwas ruhiger) Das mache ich heute immer noch so.

Mutter Nein, aber, ... (hilflos) ich, ich finde es hier schön. Und, und Du hast ja noch Zeit bis heute abend. Und bei den Fenstern helfe ich Dir gerne.

Claudia Die Fenster habe ich gestern nachmittag geputzt!

Mutter (blickt sich noch hilfloser um, entdeckt die Matrjoschka) Ah, die Matrjoschka. Hat Sie Dir gefallen? (nimmt sie in die Hand, schüttelt ein wenig und guckt irritiert) Da fehlt eine!

Claudia (seufzt und schüttelt den Kopf)

Mutter (öffnet die Matrjoschka) Da raschelt etwas. (zieht ein Blatt aus einer inneren Puppe)

„Liebe Mama, es tut mir leid, dass ich eine von Omas Puppen verloren habe. Aber es ist nicht schlimm, man kann trotzdem noch schön damit spielen. Und falls Du sie doch vermisst, habe ich auf die Rückseite ein Bild von der fehlenden Puppe gemalt. Deine Nadine“