Offener Brief an Heike XXXXXXXX Leverkusen, den 7.2.92 Liebe Heike Ich schreibe Dir wegen deines Artikels in "b bis y", 4/91, mit dem Titel: "Das Weib schweige ... oder? Frauen in der Gemeinde" Deine Argumentationslinie war in etwa folgende: - Gal.3,28; als Einstieg: "Da ist nicht Jude noch Grieche, da ist nicht Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Frau; denn ihr seid alle einer in Christus Jesus." (rev. Elberfelder) - danach 1.Kor.12,1-11.12-28;: Hier werden die Gaben und Aufgaben in der Gemeinde beschrieben, die Gemeinde wird mit einem Leib verglichen und das Verhältnis der Glieder untereinander wird beschrieben. - Als nächstes leitest du aus den Grußlisten: Kol.4,15; Römer 16,1-15; Philipper 4,2-3; her, daß die dort beschriebenen Frauen Aufgaben und Ämter wie Gemeindeleitung, Apostelamt, Predigt, Gemeindegründung und -aufbau inne hatten. - Zu guter Letzt ziehst Du aus dem bisher Gesagten den Schluß, daß 1.Kor.14,33b-35; nur für die konkrete damalige Situation in Korinth gilt. Ich halte diese Argumentationslinie nicht für stichhaltig und deswegen schreibe ich Dir diesen Brief. Da Du diesen Artikel über ganz Deutschland über "b bis y" verbreitet hast und deine Ansichten zu diesem Thema im deutschen Baptismus weit verbreitet sind, habe ich diesen Brief als offenen Brief geschrieben und werde ihn auch anderen zukommen lassen. Als erstes möchte ich vorausschicken, daß ich es unglücklich finde, daß Du als theologische Mitarbeiterin über dieses Thema schreibst und es als Bibelarbeit verbreitest, weil es für eine theologische Mitarbeiterin schwierig sein muß, bei diesem Thema objektiv zu bleiben. Denn würde sie zu einem anderen Schluß kommen, als zu dem, zu dem Du hier kommst, dann würde sie ihre eigene Berufung und damit einen sehr wichtigen Teil ihres Lebens in Frage stellen. Zu Anfang möchte ich ein paar grundsätzlich Dinge sagen: - Die Bibel legt sich weitgehend selber aus; normalerweise legen die klaren die unklaren Stellen aus. - Zeitgeschichtliches Verständnis von Bibelstellen ist nur möglich, wenn die Bibel das selber sagt; z.B. die Opfergesetze Israels haben für uns nur noch symbolische Bedeutung. - Selbst wenn wir jahrelang oder generationenlang gewohnt sind, eine Bibelstelle in einer bestimmten Art und Weise zu verstehen, müssen wir uns von der Bibel hinterfragen lassen, weil es sein kann, daß wir uns irren. - Die Bibel ist zeitlos und verbindlich, auch wenn einiges nicht in unserer Zeit zu passen scheint. - Ps 19,8.9; (rev. Elberfelder, wegen Verszahl) Ich möchte nun die einzelnen Punkte ansprechen: 1. 1.Kor.14,26-40; Ich fange mit den "kritischen" Versen an. Du sprichst nur über V.33b-35; und reißt sie damit aus dem Zusammenhang, was mit Sicherheit verkehrt ist. Der Text behandelt die Ordnung der Zusammenkünfte, vergleichbar mit unseren Gottesdiensten. In V.26; werden die Gaben beschrieben (vgl 1.Kor.12,4-11;!), die zur Auferbauung aller gegeben sind. In V.27-35; geht es um die Ordnung in so einer Versammlung, wie sie abläuft und wie die Gaben praktiziert werden sollen. In V.36-38; wird das vorher Gesagte unterstrichen und ich halte es für nicht richtig V.33b-35; davon auszunehmen. V.39-40; ist die Zusammenfassung von dem ganzen Text. Du behauptest nun, V.33b-35; gilt nur für die Frauen in Korinth im Jahre 55 n.Chr. Das stimmt mit Sicherheit nicht, da V.34; -laut V.33b;- in ALLEN Gemein- den der Heiligen üblich war. Außerdem erscheint es mir einerseits unwahr- scheinlich, daß wirklich alle Frauen immer dazwischen redeten und andererseits unfair, daß alle Frauen schweigen sollen, wenn einige dazwischen reden. Die Gemeinde würde sich ja auch dann um Segen bringen, wenn es wirklich Aufgabe der Frauen wäre, Beiträge zu der Versammlung zu bringen. Ferner kann man sich noch anschauen, an wen der 1.Korinther-Brief eigentlich geschrieben ist: 1.Kor.1,2; "an die Gemeinde Gottes, die in Korinth ist, den Geheiligten in Christus Jesus, den berufenen Heiligen, samt allen, die an jedem Ort den Namen unseres Herrn Jesus Christus anrufen, ihres und unseres Herrn." Da fällt es schwer zu glauben, daß ausgerechnet V.33b-35; NUR an die Gemeinde in Korinth gerichtet ist, die Verse drumherum aber nicht. Über einen weiteren Text sagst Du nichts, obwohl der auch hier herein gehört: - 1.Tim.2,8-15; Die Briefe an Timotheus sind an keine konkrete Gemeinde gerichtet und deswegen ist hier die Möglichkeit zeitgebundener Auslegung erst recht nicht vorhanden. Passend zum Thema sind hier die Verse 12-15;. Die Frau soll nicht lehren, noch über den Mann herrschen oder sich über den Mann erheben. Dies ist nun kein leichter Text und ich habe mit ihm auch noch einige Schwierigkeiten. Dieses Lehren kann nicht jede Art des Lehrens meinen, da ja zum Beispiel Frauen Frauen lehren sollen; eine Frau muß ihre Kinder lehren, ihren Ehemann, und viele mehr. In V.8-10; ist die Rede vom Gebet, in V.11.12 davon, daß Frauen sich in der Stille halten sollen. Dies scheint eine Parallele zu 1.Kor.14,34; zu sein und sich damit u.a. auf die wöchentliche Versammlung zu beziehen. Dies würde bedeuten, daß mit "Lehren" in diesem Text u.a. das Lehren in der gottesdienstlichen Versammlung gemeint ist und das würde jeglichem Lehren von Frauen darin widersprechen. Paulus begründet es hier in V.13.14 mit der Schöpfungsreihenfolge und dem Sündenfall, und deswegen kann man dieses Gebot nicht zeitgebunden interpretieren. Schwierig ist V.15 im Kontrast zu V.12. Mit "errettet werden" könnte gemeint sein, daß eine Frau durch ihr Mutterdasein einen besonderen Segen empfangen kann, den ein Mann nicht empfangen kann. (Das heißt natürlich nicht, daß jede Frau Mutter werden muß, um gesegnet zu werden.) Einige Fragen bleiben bei diesem Text sicherlich offen, aber ich denke, man kann abschließend sagen, daß das "Lehren" aus diesem Text sich u.a. auf das Lehren in der gottesdienstlichen Versammlung bezieht und dieses damit laut Text für Frauen tabu ist. Dies ist keine Benachteiligung, da Frauen andere vielfältige Aufgaben und Segnungen empfangen. 2. Gal. 3,28; Dieser Vers sagt etwas über unseren Stand aus, wie man aus dem nachfolgenden Vers 29; leicht erkennt. Wir sind alle, als Christen, Abrahams Nachkommenschaft und damit Erben, egal wer wir sind: Juden oder Griechen, usw. Es geht hier nicht um Aufgaben, davon sind einige sehr wohl gruppenspezifisch, wie z.B. "Mutter-Amt", "Vater-Amt" oder, wie ich versucht habe nachzuweisen, Lehren in der Versammlung. In 1.Kor.12; wird dem auch nicht widersprochen; es steht da nur, daß der Geist die Gaben austeilt, wie er will und ich glaube nicht, daß er bei der Gabenausteilung dem geistgewirkten Wort, der Bibel, wider- spricht, weil er sich damit selber widersprechen würde. 3. Die Grußlisten - Kol.4,15; "Nympha und die Gemeinde in ihrem Haus" Zum Ersten ist es laut Fußnote der revidierten Elberfelder nicht klar bestimmbar, ob es Nympha (Frau) oder Nymphas (Mann) heißt. Die Übersetzungen, die ich habe, verteilen sich auf beide Möglichkeiten je 50 zu 50. Zum Zweiten schreibst Du, daß die Gemeinden sich fast ausschließlich in Häusern reicher Geschwister versammelt haben. Das stimmt sicherlich, da es andere Säle ja gar nicht gab. Du behauptest aber auch, daß diese Geschwister auch immer leitende Funktion hatten; das würde aber bedeuten, daß die Gabe der Leitung vom Besitz abhängig ist, was sie mit Sicherheit nicht ist. Warum kann nicht jemand sein Haus zur Verfügung stellen und jemand anders die geistliche Leitung übernehmen? Bei uns in der Gemeinde wurde das in einigen Hauskreisen auch so gehandhabt. Ferner haben wir das Beispiel mit dem Obersaal, in dem Jesus und seine Jünger sich zum letzten Abendmahl versammelten (Lukas 22,7-38;). Hier hatte der Hausbesitzer auch keine leitende Funktion, er stellte nur die Räumlichkeiten zur Verfügung. - Apg 16, 14-15.40; Bekehrung der Lydia In diesen Versen steht nur, daß Lydia sich als erstes bekehrte, daß sich dadurch anscheinend auch ihr Haus bekehrte und daß sie die Apostel in ihr Haus nötigte. In Vers 40 steht dann, daß die Gemeinde sich bei ihr versammelte. Offensichtlich war Lydia hier der geistlich aktive Pol; über ihren Mann lesen wir nichts. Wir können das häufiger in der Bibel lesen, daß Frauen eher einen Draht zu Gott bekommen als Männer. Es steht hier aber nichts von Predigen, Gemeindeleiten, usw. - Röm.16,1.2; Gruß an Phöbe Phöbe wird als "Dienerin der Gemeinde in Kenchreä" bezeichnet und Du behauptest, weil Paulus sich selbst als Diener Jesus Christi im Zusammenhang mit seinem Dienst als Verkündiger bezeichnet, würde Phöbe dies auch tun. In 1.Tim.3,8-13; finden wird das Amt des Dieners beschrieben. Hier ist zwar die Rede von einem Mann und davon, daß er seine familiären "männlichen" Pflichten als Vorraussetzung für das Dieneramt gut erfüllen soll. Da das Dieneramt jedoch nicht mannspe- zifisch zu sein scheint, ist verständlich, daß in Röm.16,1; die Rede von einer DienerIn ist. Das Amt des Aufsehers oder des Gemeindeleiters ist jedoch verschieden vom Amt des Dieners, wie wir in 1.Tim.3,1-7; leicht erkennen. Dieses Amt ist mannspezifisch, weil das Leiten oder Vorstehen vor der Gemeinde mit dem väterlichen Vorstehen vor der Familie verglichen wird (Eph.5,21-33; zum Thema Ehe müßte man natürlich noch mehr sagen, aber das würde hier zu weit führen.). Sicherlich gibt es Ausnahmen, z.B. nach dem Krieg, wo es keine Männer gab, aber das sind Ausnahmen. Man darf bei dieser Diskussion nicht vergessen, daß alle Gebote Gottes uns zu unserem Segen gegeben sind. - Priscilla und Aquila Hier sagst Du, daß das Priscilla die wichtigere Person war, weil sie öfter zuerst genannt wird. Das stimmt, sie wird in vier Fällen als erstes genannt und in zwei Fällen als zweites. Du sagst, daß Paulus sie seine "Mitarbeiter" nennt und er solch einen "Titel" nur Leuten gibt, die mit ihm zusammen missionieren. Zum Missionieren gehört nicht nur predigen und Gemeinde leiten, sondern dazu gehört auch Seelsorge, Zeugnis, Gastfreundschaft, u.v.m. Ein Beispiel wäre die Frau am Jakobs-Brunnen, die einfach nur erzählte, was sie mit Jesus erlebte und daraufhin kamen die Leute. Da war kein Predigen, kein Gemeinde leiten, und trotzdem war sie eine sehr effektive Missionarin, weil sie Menschen zu Jesus führte. Und zum Gemeinde-gründen gehören auch noch mehr Leute als nur Verkündiger. Paulus war selten alleine unterwegs, obwohl er normaler- weise das Wort führte. Es wurden auch andere Leute benötigt, die leise und sensibel waren und deswegen kann man aus so einer Aufzählung nicht schließen, daß das alles Prediger und Gemeinde-Leiter waren. - Röm.16,6; Maria Hier sagst du, daß das Wort "abmühen" von Paulus in einem spezifischen Sinn gebraucht wird, und zwar dann, wenn von Missionsarbeit und Leitungsarbeit die Rede ist. In 2.Thess.2,1-11; ist die Arbeit Paulus' beschrieben. In V.9; steht, daß die Mühe und die Beschwerden durch das Tag-und-Nach- Arbeiten verursacht wurde. Die Arbeit an der Gemeinde bestand in Predigen und in Tröstung und Ermahnung des Einzelnen. Da Paulus normalerweise im Team arbeitete, ist es auch klar, daß die Aufgaben unterschiedlich verteilt waren. Wie kannst du daraus jetzt herleiten, daß Maria Leiterin oder Predigerin war? - Röm.16,7; Andronika und Junia(s) Du behauptest, Junia war eine Frau, und die Formulierung, "hervorragend unter den Aposteln" bedeutet, daß sie eine besonders angesehene Apostelin war. Ich habe alle meine Bibelübersetzungen durchgesehen, ob da Junia oder Junias steht: Junias: rev. Elberfelder, unrev. Elberfelder, living bible, Luther (1892, 1972, 1984), Schlachter, Hoffnung für alle, Gute Nachricht, Interlinearübersetzung, Einheitsüber- setzung, Good news Junia: In einer Fußnote der Good news stand, daß es einige Manuskripte gibt, die auf Julia hindeuten, sonst gab es nirgendwo einen Hinweis darauf, daß Junias falsch ist. Also scheint das nicht so sicher zu sein, wie Du schreibst. Außerdem bedeutet das Wort Apostel übersetzt ja Gesandter oder Bote. Im NT haben Apostel normalerweise die Funktion eines Gemeindegründers, obwohl das nirgendwo definiert ist. Wenn nun eine Frau wirklich den Titel "Apostel" hat, dann muß das nicht unbedingt im Widerspruch zu dem Vorhergesagten stehen. - Tryphäna, Tryphosa, Persis, Mutter des Rufus, Euodia, Syntyche (Röm.16,12-13; Phil.4,2-3;) Hier betonst du das gute Verhältnis von Paulus zu diesen Schwestern. Ich denke, es ist ganz normal, daß Paulus zu verschiedenen Leuten intensivere Vertrauensverhältnisse hat und dabei sind auch Schwestern. Euodia und Syntyche "kämpften" für das Evangelium. Kampf spielt sich natürlich auf allen Fronten ab, nicht nur bei Paulus auf dem Marktplatz. Dies ist wichtig zu betonen. Nicht die Verkündigung durch die Predigt ist das wichtigste in der Mission, sondern alle Dienste, die dazu beitragen, sind gleichwichtig. Ich habe den Eindruck, daß die Predigt in Deiner Bibelarbeit irgendwie in den Vordergrund geschoben wird und einen überhöhten Rang einnimmt. In Apg.17,1-4; wird "normale" Missionsarbeit von Paulus betrieben. Er geht dahin, wo Interessierte sind und spricht mit ihnen über Jesus. Einige lassen sich überzeugen und bekehren sich. So etwas werden mit Sicherheit auch viele Frauen gemacht haben und machen es heute immer noch: Sie laden Bekannte ein oder gehen zu ihnen, kommen ins Gespräch und erklären das Evangelium. Da ist auch kein Konflikt mit 1.Kor.14,33b-35; zu erkennen. 4.Zusammenfassung Auf deine Schlußfolgerungen zu 1.Kor.14,33b-35; bin ich ja schon am Anfang eingegangen. Das Grundproblem dieser Bibelarbeit ist, daß Du sie so formuliert hast, als wären Deine Ansichten zu diesem Thema in jedem Fall richtig. Damit nimmst Du vielen Jugendlichen und jungen Erwachsenen die Chance selber zu prüfen, weil ja alles klar zu sein scheint. Du bezeichnest eine Stelle der Bibel als nur für damals gültig, obwohl der Textzusammenhang und, wie ich versucht habe nachzuweisen, auch andere Bibeltexte diese Auslegung nicht hergeben. Ich halte so etwas, auch bei einer nicht ganz so bedeutenden Bibelstelle wie dieser, für verhängnisvoll, da dieses einen Prozeß in Gang setzen kann, der dazu führt, daß auch weitere Bibelstellen "nur für damals gültig" gesehen werden, die das nur von der Bibel her nicht sind. Und das ist ja auch klar: Wenn diese Stelle heute nicht mehr gilt, warum sollen dann alle anderen gelten, die die Bibel nicht auf damals beschränkt? Dies führt zu einer sinkenden Bibelwertschätzung und zu einem sinkenden Bibelverständnis und -wissen. Und das ist ein Prozeß, den man heute bei christlichen Jugendlichen und jungen Erwachsenen beobachten kann. Dieser Prozeß hat sicherlich noch weitere Ursachen, aber ich bin sicher, daß solche zeitgebundene Auslegungen wie deine ungewollt dazu beitragen. Auch die Tatsache, daß Du als Frau solch ein Amt inne hast, wird diesen Prozeß meiner Ansicht nach mit fördern. Aus diesen Gründen hielt ich es für wichtig, diesen Brief zu schreiben. Meine Erkenntnis ist natürlich nur Stückwerk und deshalb kann ich mich irren; ich bin für jede biblische Korrektur dankbar. Peter Schütt