Voreingenommenheits-Blindfleck

Der Splitter im Auge des anderen, unsere Voreingenommenheit und warum Jesus Christus uns Demut lehrt...

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Einleitung

Habt Ihr Vorurteile? Wie objektiv seid ihr?

Der Mensch, und da nehme ich mich in keiner Weise von aus, neigt dazu, sich selbst eher für objektiv und unvoreingenommen zu halten.

Bei einer Stichprobe in den USA wurden 600 Leute dazu befragt und davon waren 85 % überzeugt, dass sie weniger voreingenommen seien als der durchschnittliche US-Amerikaner. Nur ein einziger Teilnehmer glaubte, mehr voreingenommen zu sein als der Durchschnitt (siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Bias_blind_spot).

Das erinnert ein bisschen an die deutschen Autofahrer, von denen sich ja auch 85 % für überdurchschnittlich gute Fahrer halten. Das habe ich irgendwo mal gelesen. Das ist natürlich ähnlich albern.

Für diese Selbstüberschätzung, was die eigene Objektivität angeht, gibt es sogar einen wissenschaftlichen Ausdruck:

Auf Englisch:

Bias blind spot

„Bias“ kann man mit „Voreingenommenheit“ übersetzen und „blind spot“ als „blinden Fleck“, angelehnt an den blinden Fleck in unserem Auge.

Wörtlich übersetzt heißt das also „Voreingenommenheits-Blindfleck". Die offizielle deutsche Bezeichnung ist „Verzerrungsblindheit“, aber das macht es irgendwie nicht so deutlich.

Betrachten wir dazu einen Bibeltext (Matthäus 7, 1-5; NEÜ):

1 Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet! 2 Denn so, wie ihr über andere urteilt, werdet auch ihr einst beurteilt, und das Maß, mit dem ihr bei anderen messt, wird auch an euch angelegt werden. 3 Weshalb siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, bemerkst aber den Balken in deinem eigenen Auge nicht? 4 Wie kannst du zu deinem Bruder sagen: ‚Halt still, ich will dir den Splitter aus dem Auge ziehen!‘ – und dabei ist der Balken doch in deinem Auge? 5 Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge! Dann wirst du klar sehen und kannst den Splitter aus dem Auge deines Bruders ziehen.

Richten

Aber warum ist das so schlimm, andere zu be- oder gar zu verurteilen? Ich bin doch objektiv und habe kaum Vorurteile. Und daher kann ich doch gut beurteilen, was an anderen falsch ist, oder?

Man merkt schnell, dass diese eigene Selbstüberschätzung schon zu überheblichem Denken führen kann.

Wir finden das ja auch schon in der Bibel, wo ein Pharisäer im Gebet sagt (Lukas 18, 11): Ich danke dir, Gott, dass ich nicht so bin wie die anderen Menschen, all diese Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder dieser Zolleinnehmer dort.

Dieser Pharisäer hielt sich bestimmt für überdurchschnittlich, in allem.

Ich glaube, die meisten Menschen stößt so ein Verhalten und Denken eher ab.

Aber nochmal: Warum ist „richten“ falsch?

Doch nicht objektiv

Der erste Aspekt ist sicherlich, dass wir eben doch nicht objektiv sind. Daher sind deine und meine Urteile über andere oft genug unfair.

In Sprüche 11, 2; NEÜ steht das so schön:

Kommt Übermut, dann kommt auch Schande, doch Weisheit ist mit Demut verknüpft.

Statt „Übermut“ kann man auch „Überheblichkeit“, „Stolz“ oder „Hochmut“ übersetzen.

Wenn man sich für besonders objektiv im Sinne von „Ich habe besonders den Durchblick“ hält, dann ist das überheblich und wird nicht gut enden.

Hier fällt der Begriff „Demut“ und ich glaube, dass dieser Begriff für Christen sehr wichtig ist.

Ich brauche Gnade und Vergebung von Gott, meine Erkenntnis ist Stückwerk, ich weiß einfach vieles nicht und der andere könnte auch recht haben. Ich sehe manche Hintergründe nicht und bin vielleicht auch nicht empathisch genug, um zu verstehen, warum der andere handelt, wie er handelt. Ich habe oft genug nicht den Durchblick und mit dieser Sicht möchte ich weiter lernend durchs Leben gehen, um wirkliche Weisheit zu lernen.

Wie kann man mit dieser Sichtweise über Menschen richten? Und trotzdem tue ich es oft genug.

Am eigenen Leib

Wie falsch so ein Richten sein kann, merken wir oft dann, wenn wir selbst betroffen sind. Wenn man sich ungerecht behandelt fühlt, und wahrscheinlich hat das jeder schon einmal erlebt, dann kann einen das richtig fertig machen.

Ist das vielleicht schon die Umsetzung von dem Vers von vorhin (Matthäus 7, 2; NEÜ)?

2 Denn so, wie ihr über andere urteilt, werdet auch ihr einst beurteilt, und das Maß, mit dem ihr bei anderen messt, wird auch an euch angelegt werden.

Die Aussage bezieht sich auf die Zukunft, aber es findet oft genug auch schon hier statt. Es hört sich an wie ein gerechtes Aufrechnen: „mit dem selben Maß“.

Als Kontrast dazu drängt sich eine Aussage aus dem Vaterunser auf (Matthäus 6, 12; LUT):

Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Da wird nichts mehr aufgerechnet. Wenn man Gott bittet, dann wird alle Schuld vergeben, so wie wir auch denen vergeben, die an uns schuldig geworden sind.

Kein gleiches Maß, kein Urteilen über die Schuld der anderen: Gott vergibt uns und wir vergeben einander. Alles.

Das ist natürlich nicht leicht und dauert häufig Zeit und je nach Art der Schuld, z.B. Mißbrauch, kann es auch sein, dass keine Versöhnung oder Kontakt möglich ist. Auch wenn die Schuld strafrechtlicher Natur ist, kommt man an der Staatsanwaltschaft nicht unbedingt vorbei, auch wenn der Betroffene vielleicht vergeben hat.

Vergebung bedeutet nicht, alles unter den Teppich zu kehren, dass wollte ich nur kurz erwähnen.

Trotzdem gilt für uns Christen:

Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Darüber hinaus

Und man kann noch darüber hinaus gehen.

In einer Parallelstelle von dem „Richten“-Text steht noch etwas mehr (Lukas 6, 36-38; NEÜ):

36 Seid barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist! 37 Richtet nicht, dann werdet auch ihr nicht gerichtet! Verurteilt nicht, dann werdet auch ihr nicht verurteilt! Vergebt, dann wird auch euch vergeben werden! 38 Gebt, dann wird auch euch gegeben werden: Ihr werdet mit einem vollen, gedrückten, gerüttelten und überlaufenden Maß an Gutem überschüttet. Gott wird das Maß, mit dem ihr bei anderen messt, auch für euch verwenden."

Mit einer barmherzigen Haltung ist man schon ein bißchen gegen das Richten immunisiert.

Und hier taucht auch wieder das Maß auf, aber im positiven Sinne. Hier soll nicht die Schuld gegeneinander angerechnet werden, sondern hier wird zum freigebigen Geben aufgefordert. Und auch das ist etwas, glaube ich, was nicht nur die Zukunft betrifft, sondern was wir auch schon hier auf der Erde zurückbekommen. „Ihr werdet mit Gutem überschüttet werden.“

Aber es funktioniert nicht, wenn man es gegenseitig aufrechnet. Ich vermute, gegenseitig aufzurechnen ist immer eine blöde Idee.

Der Splitter muss 'raus?

Kommen wir noch einmal zu dem Splitter zurück: Der muss doch raus, das ist doch unangenehm. Ich seh das doch.

Was ist denn ein Splitter?

Eine Geschichte dazu: Eine Freundin von uns bekam Besuch von einer Bekannten, die ein paar Tage dort übernachtet hat. So weit, so gut, das hatten die schon öfters so gemacht und war in Ordnung.

Die Freundin musste an einem Tag arbeiten und die Bekannte blieb an dem Tag alleine in der Wohnung. Nun hat sich die Bekannte den Schreibtisch der Freundin angesehen und in ihren Augen war der Schreibtisch nicht optimal eingeräumt. Daher hat sie die Inhalte der Schubladen im Schreibtisch umgeräumt, damit sich unsere Freundin danach besser zurecht findet und besser am Schreibtisch arbeiten kann.

Sie hat da quasi einen Splitter gesehen, den sie gezogen hat.

Die Begeisterung über das Ergebnis hielt sich sehr in Grenzen, denn die neue Ordnung passte nicht für unsere Freundin.

Für so ein Verhalten würde ich schon das Wort „übergriffig“ wählen.

Offensichtlich war hier ein Balken im Weg.

Aber kann man das so sagen? (Matthäus 7, 3; NEÜ)

3 Weshalb siehst du den Splitter im Auge deines Bruders (oder Schwester), bemerkst aber den Balken in deinem eigenen Auge nicht?

Kann man denn auch Balken bei anderen sehen, wenn man selber ein riesiges Brett vor dem Kopf hat?

„Also der andere sieht das vollig falsch. Das ist doch offensichtlich“. Vielleicht bin ich so in meiner Blase gefangen, so voreingenommen, dass ich anderen zu Unrecht unterstelle, sie hätte einen Balken im Auge.

Laut Jesus Christus scheint man den eigenen Balken im Auge gerne zu übersehen. Doch wie kann man das ändern?

Da kommen wir wieder zu der vorhin beschriebenen Demut: Ich brauche Gnade und Vergebung von Gott, meine Erkenntnis ist Stückwerk, ich weiß einfach vieles nicht und der andere könnte auch recht haben.

Mit dieser Haltung bemerke ich den Balken vielleicht (alter Witz: mit Händen an den Ohren vorbei). Das Brett ist wohl hochkant. (Matthäus 7, 3; NEÜ)

4 Wie kannst du zu deinem Bruder sagen: ‚Halt still, ich will dir den Splitter aus dem Auge ziehen!‘ – und dabei ist der Balken doch in deinem Auge? 5 Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge! Dann wirst du klar sehen und kannst den Splitter aus dem Auge deines Bruders ziehen.

„Halt still! Ich zeig Dir, wie es geht. Ohne mich wirst du den Splitter nie los!“

Ich glaube, dass man in den meisten Fällen schon merkt, wenn man einen Splitter im Auge hat. Das piekst nämlich. Ich hatte mal einen Metallsplitter im Auge, der musste vom Augenarzt entfernt werden. Das war ganz schön gruselig.

Lasst uns barmherzig miteinander umgehen, vielleicht auch unsere Splitter, die wir selber bemerken, miteinander teilen.

Tja, und Heuchler möchten wir ja alle nicht sein. Lasst uns füreinander beten, dass wir die Balken in unseren Augen bemerken und ablegen können.

Als letztes Bild möchte ich noch den sogenannten Spiegeltest erwähnen, mit dem man feststellen will, ob sich Tiere im Spiegel selber erkennen. Dazu bringt man unbemerkt eine Markierung, z.B. einen Farbfleck, auf dem Tier an. Und wenn das Tier diesen Fleck im Spiegel sieht und ihn dann bei sich entfernen möchte, dann hat es den Test bestanden.

Das kann ein Bild für uns sein. Sind wir bereit, uns selber so zu sehen, wie wir sind, mit all unseren Flecken und auch mit den zahllosen Balken, die uns immer wieder ins Auge fliegen?

Zusammenfassung

Ich fasse zusammen: