Einleitung
„Man darf ja nichts mehr sagen!“ Habt Ihr den Satz schon einmal gehört? Klingt übertrieben, oder?
Es gab 2019 eine Umfrage vom Allensbachinstitut, die ergeben hat, dass zwei Drittel der Befragen der Meinung sind, „man müsse sehr aufpassen, zu welchen Themen man sich äußert.“ Es gibt auch neuere Befragungen, nicht ganz so systematisch, die zu ähnlichen Ergebnissen kommen.
Wieder andere sagen, dass das nicht stimme, sondern dass man heute immer noch seine Meinung sagen könne, nur dass man heute mit mehr Widerspruch rechnen müsse. Und die, die sich beschweren, dass wären hauptsächlich diejenigen, die keinen Widerspruch vertragen.
Aber wenn zwei Drittel der Bevölkerung dieses Gefühl haben, dann kann das so nicht stimmen.
Das ist auch manchmal schwierig. Nehmen wir als Beispiel einmal das Wort „Zigeuner“. Der Bundesverband der Sinti und Roma, ein großer Verband mit vielen Mitgliedern, hält es für diskriminierend, die Sinti Allianz Deutschland akzeptiert den Begriff „Zigeuner“, dieser Verband hat sogar 2020 veröffentlich: „eine Zensur oder Ächtung des Begriffs Zigeuner, durch wen auch immer, sollte und darf es nicht geben“. Und anscheinend gibt es auch „Zigeuner“, die weder Sinti noch Roma sind. Wie bezeichnet man die?
Das ist nur ein Beispiel dafür, dass es manchmal doch schwierig ist, die richtige Worte zu finden. Aber man merkt auch, dass so eine Diskussion auch irgendwie fruchtlos sein kann und habe sie nur als Beispiel aufgeführt. Ich persönlich habe bei diesem Thema nicht das Gefühl, dass ich vorsichtig sein müsste, meine Meinung dazu zu sagen, weil ich dazu gar keine Meinung zu habe.
Es wäre sicherlich einmal interessant, ob Ihr das auch empfindet, dass man ja nichts mehr sagen darf. Manche Aussagen sind ja wirklich vom Gesetz her verboten, z.B. solche, die den Nationalsozialismus verherrlichen. Da habe ich kein Problem mit.
Aber für viele fühlt sich an, als wäre noch viel mehr verboten. Schauen wir uns etwas Verbotenes einmal an.
Im Kornfeld
Ich lese Markus 2,23-28; NL:
Anscheinend übertreten die Jünger ein Gesetz, ein Verbot, und Jesus verteidigt sie.
Das ist jetzt nicht so, wie viele sich Christsein vorstellen.
Aber man soll doch am siebten Tag ruhen, oder? Macht Jesus hier da nicht etwas falsch?
Schauen wir uns den Text genauer an.
Zu allererst kann man feststellen, dass man auch am Sabbat Hunger hat.
Und sie besorgen sich etwas zu essen. Grundsätzlich war das damals erlaubt, wenn man durch ein fremdes Feld geht und sich etwas abpflückte (5 Mose 23,26). Ernten mit Korb war nicht erlaubt.
Aber nun kommt dieses Sabbatgebot. Was ist damit? In den 10 Geboten steht (2. Mose 20, 8; NL):
Eine andere Übersetzung, die NEÜ, übersetzt folgendermaßen:
Sabbat bedeutet wörtlich „Ruhetag“ oder „Ruhepause“. In 2. Mose 20,9-11 wird noch einmal betont, dass man an diesem Ruhetag keine Arbeit verrichten soll.
Darf man dann am Sabbat auch keine Ähren abpflücken? Ist das Arbeit? Das kann ich hieraus nicht erkennen.
Ein Ruhetag die Woche ist in jedem Fall sinnvoll. Wir Christen nehmen meist den Sonntag, weil das der Auferstehungstag ist, manche Pastoren den Montag, aber Hauptsache, man hat einen Ruhetag.
Wir haben hier also ein Verbot, dem viele damals durchaus gefolgt sind.
Trotzdem widerspricht Jesus hier. Er macht das an zwei Punkten fest.
Aus der Not heraus kann es sinnvoll sein, Verbote zu brechen. Er führt hier ja als Beispiel an, wie David und seine Leute auf der Flucht vor Saul unbedingt Proviant brauchten und vom Priester diese besonderen Brote bekamen.
Es gibt diese Fälle. Als meine Frau kurz vor der Niederkunft mit meiner älteren Tochter war, hat sie meine Schwiegermutter ins Krankenhaus gefahren und hat dabei eher weniger auf Verkehrsregeln geachtet. Das kann man verstehen.
Der zweite Punkt, den Jesus hier anbringt, ist, dass ein Gebot oder Verbot zum Nutzen für den Menschen ist und kein Selbstzweck.
Jedes Gebot oder Verbot muss einen Sinn haben, sonst ist es nutzlos.
Und in diesem Fall ist der Sabbat für das Wohl eines jeden Menschen gemacht worden. Gönn Dir Deinen wöchentlichen Ruhetag und gib den ganzen Stress an Gott ab. Mit dem Stress und der Last kannst Du Dich ja am nächsten Tag wieder beschäftigen. Aber am Ruhetag lässt Du das alles mal liegen.
Verbote?
Was ist denn sonst noch so verboten?
Viele gesetzliche Verbote dienen dazu, das Zusammenleben irgendwie zu organisieren. Man findet einiges dazu auch schon in den 10 Geboten in der Bibel, wie „du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, usw“ und es ist schon offensichtlich, dass man solche Verbote auch braucht.
Bei anderen Verboten fängt manche Volksseele an zu kochen:
Verbot der Gasheizung, puff, Verbot des Verbrennerautos, puff!
Verbot von Mikroplastik in diversen Produkten, da stimmen wohl die meisten zu.
Natürlich werden Verbote vermutlich am Ehesten dann akzeptiert, wenn die Begründung dafür plausibel ist.
Wie ist das mit dem Verbot in unserem Text? Die Pharisäer sagen:
Die Pharisäer haben um die biblischen Gebote und Verbote einen Zoo an weiteren Geboten erschaffen, um um jeden Preis zu vermeiden, einer Übertretung nur auch nahe zu kommen.
Und das ist ein ganz falscher Ansatz und schränkt die Leute unverhältnismäßig ein.
Wenn die Gebote und die Verbote wirklich für die Menschen gemacht sind, dann ist doch der erste Schritt, den Sinn des Verbots zu verstehen, wo sinnvolle Grenzen sind und wo sie zu meinem und zum Schutz des Nächsten sind.
Die grundsätzliche Denkweise „ich darf das Gebot nicht übertreten, dann bin ich ein Sünder“ ist ja offensichtlich nicht richtig, wie man hier sehen kann.
Man muss den Nutzen eines Verbots für sich selbst sehen, Z.B. wenn ich nicht lüge, muss ich mir weniger merken und Leute vertrauen mir mehr, so dass ich auf Dauer bessere soziale Kontakte bekomme. Trotzdem könnte ich mir auch vorstellen, im Notfall zu lügen, wenn ich dadurch eine wirkliche Gefahr von meiner Familie abwenden könnte. Ich will das nicht, ich mag Lügen nicht, aber solche Situationen kann man nicht vorausberechnen.
Es gibt auch im neuen Testament ein Beispiel, wo die Jünger sich nicht an die Anordnung der jüdischen Obrigkeit halten (Apostelgeschichte 4, 18-20; NL):
Diese Gesetzesübertretung kann man gut nachvollziehen, allerdings ist es in den allermeisten Fällen richtig, sich im Rahmen der Gesetze unsere Obrigkeit zu bewegen.
Jedoch die Gebote und Verbote in den 10 Geboten sind in jedem Fall gut für uns. Und es sind nicht viele. Die ganzen alttestamentarischen Speise- und sonstigen Vorschriften dienen uns ja nur als Bild für die neutestamentliche Welt, um daraus zu lernen. Es gibt auch in den Briefen diverse Handlungsanweisungen oder Empfehlungen, aber das würde ich weniger als Gebote/Verbote sehen sondern als vernünftige Tips zum gemeindlichen Zusammenleben.
Eigentlich gibt es nur zwei Gebote für Christen (Matthäus 22, 37-40; NL):
Daraus folgt auch, dass ein Gebot oder Verbot niemals Selbstzweck ist, sondern mit zu diesen beiden Geboten beiträgt, meistens zum zweiten Gebot, weil Verbote und Gebote häufig etwas mit dem Zusammenleben von Menschen zu tun haben.
Der Herr das Sabbats
Am Schluss unseres Einstiegstextes bin ich noch einmal hängen geblieben (V.28).
Ich habe einige Kommentare dazu gelesen, die sich darauf beschränken, festzustellen, dass Jesus Christus auch der Herr über den Sabbat ist.
Das sehe ich auch so, aber mich irritiert etwas das „Und deshalb“. Andere Übersetzungen schreiben „Darum“ oder „Somit“ und dass sagt aus, dass Jesus der Herr über den Sabbat ist, weil der Sabbat zum Wohl des Menschen gemacht und nicht der Mensch für den Sabbat gemacht wurde.
Die Jünger haben ja das Sabbatgebot tatsächlich nicht übertreten, sondern nur die übertriebene Interpretation der Pharisäer.
Das „und deshalb“ könnte bedeutet, dass genauso, wie der Sabbat für die Menschen ist, auch Jesus Christus für die Menschen gekommen ist und daher Herr über den Sabbat ist.
Eigentlich ist Jesus Christus der Herr über alle Gebote und Verbote.
Wahrscheinlich brauchen wir uns gar nicht so mit Geboten und Verboten beschäftigen, wenn wir die zwei Gebote, Gott und den Nächsten zu lieben, ernstnehmen und mit Jesus Christus auf dem Weg sind.
Und die gefühlten Verbote?
Und was ist mit den unausgesprochen, gefühlten Verboten, die wir am Anfang betrachtet hatten? Ich denke, auch hier ist Jesus Christus der Herr darüber.
Ich denke, man muss hier die Balance finden, zwischen übertriebener und liebevoller Sprache. Z.B. würde ich einen dunkelhäutigen Menschen nicht mehr „Neger“ nennen. Das ist ein Wort, welches schon so lange diskrimierend verwendet wurde, das geht einfach nicht mehr und empfinde ich auch als guten gesellschaftlichen Konsens. Ich persönlich habe das Wort auch schon ewig nicht mehr in meinem Umfeld als Bezeichnung für einen Menschen gehört.
Nächstenliebe, und da gehört auch Respekt dazu, ist hierbei natürlich ein wichtiges Kriterium. Ich möchte Menschen nicht durch meine Worte verletzen.
Andererseits muss man gucken, wer da für wen irgendwelche Sprachregeln festlegen möchte. Zum Gendern habe ich eine Umfrage vom WDR, Februar 2023, gefunden, dass für zwei Drittel Gendern nicht wichtig ist und mehr als zwei Drittel die Genderformen in Schrift und Sprache ablehnen.
Wie immer man darüber denkt, lasst uns liebevoll miteinander umgehen und miteinander sprechen. Das sollte immer unser Gebot sein.
Zusammenfassung
Ich fasse zusammen:
- Es gibt gefühlte Verbote in unserer Gesellschaft und viele Menschen haben das Gefühl, es wird immer mehr.
- Wir haben uns die Geschichte angesehen, wo die Jünger im Kornfeld am Sabbat Ähren pflücken und von den Pharisäern verurteilt werden. Scheinbar übertreten die Jünger ein Gesetz, ein Verbot, und Jesus verteidigt sie.
- Der Sabbat wurde zum Wohl des Menschen gemacht und nicht der Mensch für den Sabbat. Denk an den Sabbattag und überlass ihn Gott!\end">bible">
- Ich denke, dass gilt allgemein: Gebote und Verbote sind zum Wohl des Menschen da und nicht der Mensch für die Verbote und Gebote. Und Verbote und Gebote sind zu unserem Nutzen da.
- Eigentlich gibt es nur zwei Gebote für Christen:
- ›Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben, von ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken!‹
- ›Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.‹
- Beim Umgang mit gefühlten Verboten ist es immer sinnvoll, liebevoll und respektvoll miteinander umzugehen. Das sollte man sowieso tun und die Wahrscheinlichkeit ist dann geringer, etwas falsch zu machen.