Pygmalion-Effekt: Was so erwartet wird...

Was bewirken unsere Erwartungen und wie wirken die Erwartungen von anderen auf uns?

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Einleitung

Ich habe letztens in einem Artikel der Zeitschrift „Geo“ ein neues Fremdwort gelernt, den

Pygmalion-Effekt

Weiß einer, was das ist? (Rückmeldungen abwarten)

Na, dann hatte ich diese Bildungslücke nicht alleine ;-)

Der Pygmalion-Effekt ist ein psychologisches Phänomen, bei dem eine vorweggenommene Einschätzung eines Schülers sich derart auf seine Leistungen auswirkt, dass sie sich bestätigt.

Ein Beispiel:

1965 untersuchten US-amerikanische Psychologen in einem Feldexperiment die Lehrer-Schüler-Interaktionen an einer Grundschule. Es gab dort drei Klassenzüge, für schnelle, mittlere und langsame Schüler; das ist recht häufig in den USA.

Den Lehrern wurde vorgetäuscht, dass auf der Basis eines wissenschaftlichen Tests die Leistungspotenziale der Kinder eingeschätzt werden sollten. Durch diesen Test würden, so die Schilderung gegenüber den Lehrern, die 20 Prozent der Schüler einer Schulklasse identifiziert werden, die kurz vor einem Entwicklungsschub ständen. Bei diesen Bloomers (Aufblühern) oder Spurters (Sprintern) sei im folgenden Schuljahr mit besonderen Leistungssteigerungen zu rechnen. In Wirklichkeit wurden die 20% der Schüler, jedoch ohne Wissen der Lehrer, völlig zufällig per Los ausgewählt.

In dem Test, der dabei gemacht wurde, wurde der IQ, der Intelligenzquotient, gemessen und acht Monate nach diesem ersten Test wurde bei allen Schülern noch einmal der IQ gemessen. Die IQ-Steigerung war bei diesen 20% der Schüler, die als „Aufblüher“ ausgelost worden waren, deutlich größer als bei den anderen.

Nur die Lehrer wussten von diesem angeblichen Potential, also muss die faktische Leistungssteigerung durch die Erwartungen der Lehrer mit ausgelöst worden sein.

Dazu kam noch, dass die IQ-Steigerungen bei den Kindern am stärksten waren, die ein besonders attraktives Äußeres hatten. Auffällig war weiterhin, dass der Charakter der so genannten Aufblüher von den Lehrern positiver beurteilt wurde.

Es gab von anderen Wissenschaftlern zum Teil berechtigte Kritik an diesem Experiment, an den Methoden usw, aber ähnliche Experimente konnten über viele Jahre zumindest teilweise immer wieder reproduziert werden. Irgendwie ist das gruselig.

Der Vorläufer von dem gerade beschriebenen Experiment ist ein Laborexperiment von 1963, wo Studenten Ratten zugewiesen bekamen, die den Weg durch ein Labyrinth finden sollten. Die Ratten waren genetisch alle vom selben Stamm, aber man sagte der einen Hälfte der Studenten, dass die Ratten besonders auf Intelligenz gezüchtet wurden und der anderen Hälfte teilte man mit, dass der Rattenstamm besonders dumm wäre.

Tatsächlich brachten die vermeintlich klugen Ratten eine bessere Leistung im Durchqueren der Labyrinthe. Irgendwie haben die studentischen Versuchsleiter in irgendeiner Form die Leistung der Versuchsratten beeinflusst.

Diese Effekte gibt es auch in negativer Form. Wenn man z.B. immer wieder Vorurteilen und Stereotypen begegnet, dann übernimmt man die häufig irgendwann. Das ist der sogenannte Andorra-Effekt, benannt nach dem Roman „Andorra“ von Max Frisch.

Man kennt das ja vielleicht: Wenn jemand immer als dumm bezeichnet wird, ist die Gefahr groß, dass er es irgendwann selber glaubt.

Man wird, wie man gesehen wird. Die Erwartungen anderer Menschen beeinflusst das eigene Verhalten sowie die Leistung und wird damit fast zwangsläufig zum Ergebnis.

Daraus folgt auch, dass man mit seinen Erwartungen an andere eine Verantwortung hat.

Erwartungen von Jesus an seine 12 Jünger

Schauen wir uns einmal einen Text aus der Bibel an, den ersten Aussendungsauftrag von Jesus an seine 12 Jünger (Lukas 9, 1-6; NL):

Eines Tages rief Jesus seine zwölf Apostel zu sich und gab ihnen Vollmacht, Dämonen auszutreiben und Krankheiten zu heilen. 2 Dann sandte er sie mit dem Auftrag aus, allen Menschen vom Kommen des Reiches Gottes zu erzählen und die Kranken gesund zu machen. 3 »Nehmt für unterwegs nichts mit«, wies er sie an, »keinen Wanderstab, kein Gepäck, keine Verpflegung und kein Geld, kein zweites Hemd. 4 Wenn ihr in eine Ortschaft kommt, seid nur in einem einzigen Haus zu Gast. 5 Wenn die Einwohner eure Botschaft nicht hören wollen, dann schüttelt beim Fortgehen den Staub von euren Füßen als Zeichen, dass ihr diesen Ort dem Gericht überlasst.« 6 So begannen sie durch die Dörfer in der Umgebung zu ziehen, verkündeten die gute Botschaft und heilten die Kranken.

Zuerst einmal muss man festhalten, dass Jesus seinen Jüngern eine besondere Macht gibt, böse Geister auszutreiben und alle Krankheiten zu heilen. Diese pauschale Macht ist eine Besonderheit, die für uns heute für die Allermeisten nicht mehr gilt, weil z.B. in 1. Korinther 12, 30 steht, dass nicht alle die Gabe der Heilung haben.

Aber die Jünger haben für diesen Auftrag die besondere Vollmacht bekommen.

Waren diese Jünger jetzt besonders für diesen Auftrag geeignet?

Ich denke, dass kann man nicht so sagen, sondern die Jünger waren eher eine Art Querschnitt durch die jüdische Gesellschaft. Also sie waren kein vollständiger Querschnitt, es waren wohl ehere Jüngere, es waren nur Männer, aber sie waren aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen, von Fischern über Zolleinnehmer bishin zu politischen Extremisten (Zeloten).

Interessant ist auch, das der Auftrag über die reine Heilung hinausgeht. Sie sollen verkünden, dass das Reich Gottes bevorsteht, was natürlich das Risiko birgt, Ärger mit den religiösen Führern zu bekommen.

Sie sollen kein Geld, keine Tasche, keine Ersatzkleidung mitnehmen, also keinerlei Sicherheit. Sie haben keine Garantie, dass sie auf wohlgesonnene Gastgeber treffen, sind aber bei diesem Auftrag abhängig davon, dass Menschen ihnen Gastfreundschaft erweisen.

Jesus gab ihnen zwar eine große Vollmacht, aber er erwartete auch viel von ihnen und die Aufgabe ging weit über die Macht hinaus, die sie bekommen hatten.

In dem letzten Vers, den ich vorgelesen hatte, lesen wir, dass die Jünger den Auftrag irgendwie ausführten, aber wir wissen nicht, wie sie das erlebt hatten und was ihnen so passiert ist.

Wir lesen nur in Lukas 9, 10.11; NL:

10 Als die Apostel zurückkehrten, berichteten sie Jesus über alles, was sie getan hatten. Danach zog er sich mit ihnen in die Nähe der Stadt Betsaida zurück. 11 Doch die Leute fanden heraus, wohin er gegangen war, und folgten ihm. Da wandte er sich ihnen zu, erzählte ihnen vom Reich Gottes und heilte die Kranken unter ihnen.

Was sie erzählten, wurde nicht überliefert. Jesus wollte mit ihnen allein sein, aber die hilfesuchenden Menschen fanden ihn und Jesus wandte sich ihnen zu und erzählte ihnen vom Reich Gottes und heilte die Kranken.

Wir finden später auch ein Ereignis, wo einige Jünger versagten. Jesus war mit Petrus, Johannes und Jakobus auf einem Berg und währendessen haben die anderen Jünger Jesu Auftrag weiter erfüllt und sind einem Fall gescheitert (Lukas 9, 38-42; NL):

38 Ein Mann in der Menge rief ihm zu: »Meister, sieh meinen Sohn an, mein einziges Kind. 39 Ein böser Geist ergreift immer wieder von ihm Besitz. Dann schreit er, stürzt zu Boden, windet sich und hat Schaum vor dem Mund. Ständig schlägt und verletzt er ihn und lässt ihm keine Ruhe. 40 Ich habe deine Jünger gebeten, den Geist auszutreiben, aber sie konnten es nicht.« 41 »Ihr uneinsichtigen, ungläubigen Menschen«, sagte Jesus, »wie lange muss ich denn noch bei euch sein und euch ertragen? Bringt ihn her.« 42 Als der Junge nach vorn kam, warf der Dämon ihn zu Boden, sodass er sich heftig wand und krümmte. Aber Jesus bedrohte den bösen Geist und heilte den Jungen. Dann schickte er ihn zu seinem Vater zurück.

Hat Jesus hier einen Fehler gemacht? Hat er doch die falschen Jünger ausgesendet? Offensichtlich hat er sich hier auch etwas geärgert.

Ich denke, Schwächen und Fehler können immer passieren und das muss man anderen auch zugestehen. OK, Jesus werden wohl keine Fehler passiert sein, aber von uns selbst können wir das sicherlich nicht behaupten.

Die Jünger sind halt auch noch auf dem Weg, so wie wir auch (Matthäus 17, 19-21; NL):

19 Als sie später wieder unter sich waren, fragten die Jünger Jesus: »Warum konnten wir diesen Dämon nicht austreiben?« 20-21 »Weil euer Glaube so gering ist«, sagte Jesus. »Ich versichere euch: Wenn euer Glaube auch nur so groß wäre wie ein Senfkorn, könntet ihr zu diesem Berg sagen: `Rücke dich von hier nach da´, und er würde sich bewegen. Nichts wäre euch unmöglich.«

Sicherlich ist das hier kein Leistungsbefehl „Glaubt mehr!“, aber es ist die Aufforderung und auch die Einladung, noch mehr im Glaube zu wachsen.

Es geht bei Erwartungen an andere Menschen nicht darum, sich Dinge schön zu reden. Man sollte schon realistisch bleiben, aber trotzdem positive Erwartungen an andere haben und ich glaube, dass Jesus hier positive Erwartungen an seine Jünger hat. Ihr Glaube wird noch wachsen und sie werden später die Welt verändern.

Die Haltung „Wer nichts erwartet, wird auch nie enttäuscht!“ kann nicht richtig sein. Wenn man anderen nichts zu traut, dann wird man den Pygmalion-Effekt sicherlich erleben.

In dem Artikel aus der Geo stand auch ein interessantes Zitat aus der Wirtschaft:

So formuliert der bekannte deutsch-österreichische Unternehmer Reinhold Würth, dass "eine Geschäftsleitung, die daran glaubt, 75 Prozent der Beschäftigten seien faul, schlecht qualifiziert und Diebe, genau diese Belegschaft bekommt." Werde hingegen davon ausgegangen, dass 98 Prozent der Belegschaft einsatzfreudig und dem Unternehmen gegenüber positiv eingestellt sei, werde genau das passieren.

Aber kommen wir zu Jesus zurück. Man könnte meinen, dass er es nach diesem Scheitern erst einmal lässt. Die Jünger müssen erst einmal mehr glauben, sonst bringt das doch alles nichts.

Aussendung der 72 Jünger

Aber im nächsten Kapitel passiert folgendes (Lukas 10, 1-3; NL):

1 Daraufhin wählte der Herr zweiundsiebzig andere Jünger aus und schickte sie zu zweit voraus in alle Städte und Dörfer, die er aufsuchen wollte. 2 Er gab ihnen folgende Anweisungen: »Die Ernte ist groß, doch die Zahl der Arbeiter ist klein. Betet zum Herrn, der für die Ernte zuständig ist, und bittet ihn, mehr Arbeiter auf seine Felder zu schicken. 3 Nun geht und denkt daran, dass ich euch wie Lämmer unter die Wölfe schicke.

Und dann kommt der selber Auftrag wie bei der Aussendung der 12, mit sehr ähnlichen Worten: Nehmt kein Geld mit, kein Gepäck, keine Sicherheit und verlasst euch auf die Gastfreundschaft der Leute. Und auch die Vollmacht und der Auftrag ist derselbe (Lukas 10, 9; NGÜ):

Heilt die Kranken, die dort sind, und verkündet den Bewohnern der Stadt: ›Das Reich Gottes ist nahe zu euch gekommen.‹

Ich glaube nicht, dass diese 72 anderen „besser“ als die 12 waren, obwohl Jesus sie für diesen Auftrag ausgewählt hatte.

Von ihnen ist überliefert, was sie bei Ausführung ihres Auftrags erlebten (Lukas 10, 17-20; NL):

17 Als die zweiundsiebzig Jünger zurückkehrten, berichteten sie ihm voller Freude: »Herr, sogar die Dämonen gehorchen uns, wenn wir sie in deinem Namen austreiben!« 18 »Ja«, erklärte er ihnen, »ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen! 19 Ich habe euch Vollmacht über den Feind gegeben; ihr könnt unter Schlangen und Skorpionen umhergehen und sie zertreten. Nichts und niemand wird euch etwas anhaben können. 20 Aber freut euch nicht darüber, dass böse Geister euch gehorchen, sondern freut euch, dass eure Namen im Himmel aufgeschrieben sind.«

Der Schluss des Abschnitts ist das eigentlich Wichtige, dass man zu Jesus Christus gehört, so dass der eigene Name im Himmel aufgeschrieben ist.

Wir, die wir unser Leben Jesus Christus gegeben haben, gehören auch zu ihm und ich glaube, man kann verallgemeinern, dass Jesus jedem von uns einiges oder viel zutraut und sehr positive Erwartungen an uns hat.

Delegieren

Ein Thema, dass in diesem Komplex mit reinspielt, ist das Thema „delegieren“.

Es gibt diese schöne Episode aus 2. Mose 18, wo Mose Besuch von seinem nicht-jüdischen Schwiegervater Jitro bekommt. Und der ist live dabei, wie damals Mose im Alleingang das Volk lehrte und Recht sprach. Das heißt von Morgens bis spät abends kamen die Leute zu Mose, um irgendwelche Angelegenheiten zu regeln. Man kann sich das so vorstellen, dass es bei der Stadtverwaltung nur den Bürgermeister gibt und der auch noch alle Behördendinge erledigt und auch noch den Schiedsmann spielt.

Jitro wies Mose daraufhin, dass so etwas nicht gesund ist und er empfahl eine Strukur aufzubauen, so dass verantwortungsvolle Leute über 1000, 100, 50 und 10 gesetzt werden und nur die komplizierten Fälle bei Mose landen.

Das klingt offensichtlich und logisch und es wird dann auch so gemacht.

Warum ist da vorher noch keiner draufgekommen? Vielleicht war ja bei Mose die insgeheime Erwartung da: „Das bekommen die nicht hin. Nur was man selber macht, wird gut.”

Aber wenn man alles selber macht, dann reibt man sich auf und vermittelt den anderen natürlich: „Ihr könnt das sowieso nicht.“, was natürlich den Pygmalion-Effekt auslösen kann.

Die Geschichte des Markus

Als weiteres biblisches Beispiel möchte ich noch die Geschichte von Johannes Markus betrachten. Das war Cousin von Barnabas, der die erste Missionsreise mit Paulus gemacht hat.

Apostelgeschichte 13, 4.5; NL

4 Saulus und Barnabas wurden vom Heiligen Geist ausgesandt. Sie gingen hinunter zum Seehafen Seleuzia und segelten von dort zur Insel Zypern. 5 Auf Zypern suchten sie in der Stadt Salamis die jüdischen Synagogen auf und verkündeten Gottes Wort. Johannes Markus ging als ihr Gehilfe mit.

Die erleben dann ganz spannende Geschichten, aber nachdem sie Zypern verlassen haben, trennte sich Johannes Markus von ihnen und kehrte nach Jerusalem zurück.

Das hatte ein Nachspiel (Apostelgeschichte 15, 36-40; NEÜ):

36 Einige Zeit später sagte Paulus zu Barnabas: "Lass uns wieder aufbrechen und all die Städte besuchen, in denen wir das Wort des Herrn gepredigt haben. Wir sollten sehen, wie es den Geschwistern dort geht." 37 Doch Barnabas wollte auch Johannes Markus wieder mitnehmen. 38 Paulus aber hielt es nicht für richtig, den mitzunehmen, der sie in Pamphylien im Stich gelassen und die Zusammenarbeit abgebrochen hatte. 39 Es kam nun zu einer so heftigen Auseinandersetzung, dass beide sich trennten. Barnabas nahm Markus mit sich und segelte nach Zypern. 40 Paulus dagegen wählte sich Silas zum Begleiter. Und nachdem er von den Geschwistern der Gnade Gottes anbefohlen worden war, reiste er ab.

Wer hatte jetzt Recht? Barnabas wollte ihm noch einmal eine Chance geben. Er erwartete eine Veränderung bei Markus. Paulus hingegen wollte nicht mehr mit Johannes Markus arbeiten.

Man kann das heute nicht mehr entscheiden, wer recht hatte. Ich habe auch schon einmal die Theorie gehört, dass der Streit von Gott zugelassen wurde, damit sich Paulus und Barnabas trennen und so als Multiplikatoren das Evangelium noch besser verbreiten.

Aber das erscheint mir ein bisschen schön geredet. Es waren halt keine perfekten Menschen und daher konnten auch unschöne Streits auftreten.

Ob Paulus und Barnabas sich wieder vertragen haben, kann man nicht so genau sagen, da steht nichts zu in der Bibel, aber ich hoffe es. Allerdings bestand später wieder gutes Verhältnis zwischen Paulus und Johannes Markus. Z.B. bat Paulus den Timotheus im 2. Timotheus 4,11 explizit um einen Besuch und darum, dass er Johannes Markus mitbringt.

Es ist natürlich Spekulation, ob die Tatsache, dass Barnabas ihm mit positiver Erwartung begegnet ist, dazu geführt, dass er später doch ein verlässlicher Mensch geworden ist.

Die kirchliche Tradition hält Johannes Markus sogar für den Markus, der der Markus-Evangelium geschrieben hat. Also ist noch etwas aus ihm geworden.

Zusammenfassung

Ich fasse zusammen.