Einleitung
Mich beschäftigt schon seit längerem eine Sache: Der Umgang mit Meinungsverschiedenheiten. Ich finde es dabei besonders interessant, auf Nachrichtenportalen die Forenbeiträge von Lesern zu lesen, insbesondere zu kontroversen Themen wie z.B. den Corona-Virus. Eine Sache fällt dabei auf: Es wissen immer alle ganz genau Bescheid und oft genug sind Andersdenkende Idioten.
Es wird sehr selten geschrieben: Eigentlich weiß ich nicht genau Bescheid und bin daher mit meinen Urteilen vorsichtig. Nein, nahzu jeder haut da seine Wahrheit als absolut raus. Besonders eindrucksvoll sind die Leserspalten von Welt-Online. Das ist oft genug für mich eine ganz andere Welt.
Ich finde das befremdlich. Ich habe auch meine Ansichten zu manchen Themen und vielleicht bin ich auch manchmal so, wie ich gerade kritisiert habe. Aber ich möchte eigentlich diese Demut nicht verlieren, dass ich eben nicht alles weiß. Ja oft genug weißt eigentlich keiner richtig Bescheid und man sollte daher vorsichtig sein und auf Sicht fahren.
Passend dazu steht ja schon in der Bibel in Römer 12, 16; LUT
Die Neues-Leben-Übersetzung schreibt hier
Diese zweite Variante gefällt mir fast noch besser.
Im selben Kapitel im Römerbrief steht weiter vorne (Römer 12, 2; ELB):
Mir gefällt diese altmodisch wirkende Formulierung. Mit Welt ist natürlich nicht der Planet gemeint, sondern die Maßstäbe und Verhaltensweisen, die auf dieser Welt vorherrschen. Man darf dabei natürlich nicht unfair sein und allen Menschen die gleichen Maßstäbe und Verhaltensweisen zu unterstellen.
Wahrscheinlich hat auch hier jeder etwas unterschiedliche Vorstellungen, was es heißt „gleichförmig dieser Welt zu sein“.
Aber dieser Ausdruck „gleichförmig dieser Welt“ ist mir in der Frage des Umgangs mit unterschiedlichen Meinungen auf dieser Welt aufgefallen. Wie ist das in der „Welt“ und wie soll es sein?
Ich möchte dazu nicht über die Welt da draußen motzen, sondern ich möchte ein positives Beispiel aus der Bibel betrachten.
Der Streit
Es beginnt in Apostelgeschichte 14. Dort besuchen die Apostel Paulus und Barnabas eine Gemeinde in Antiochia, im heutigen Syrien, und berichten dort, dass Menschen, die keine Juden sind, sich an vielen Orten für Jesus Christus entschieden haben und hatten als Folge davon in diesen Orten Gemeinden gegründet. Sie sind dann eine längere Zeit in Antiochia bei der Gemeinde dort geblieben.
Nun beginnt der Streit im nächsten Kapitel, in Apostelgeschichte 15, 1.2a; NL
Einige jüdische Christen behaupten, dass man die Beschneidung vornehmen muss, sonst könne man kein Christ sein. Und Paulus und Barnabas widersprechen dem. Und es scheint schon ein ziemlich heftiger Streit zu sein und beide Parteien sind offensichtlich sehr von ihrer Meinung überzeugt.
Für meine Betrachtung heute ist es gar nicht wichtig, worüber gestritten wird. Es könnte auch ein ganz anderer Streit sein. Es gibt viele Fragen, über die man unterschiedlicher Meinung sein kann. Das können berufliche Fragen sein. Ich habe mich z.B. auch auf der Arbeit schon darüber gestritten, welche Programmiermethoden man an welche Stelle nimmt. Handwerker diskutieren viellicht darüber, welche Holzart in welchen Situationen am Besten ist. Ein Dachstuhl z.B., aus welchem Holz muss der geschnitzt sein ;-) da gibt es vielleicht auch unterschiedliche Meinungen. So etwas hängt auch oft mit Erfahrungen zusammen. Man macht irgendeine gute oder schlechte Erfahrung und daraus bildet man sich ein Urteil. Bloß, wie geht man damit um, wenn eine Entscheidung getroffen werden muss und man ist unterschiedlicher Meinung?
Das kann ja auch bei Eltern ein Problem sein, wenn man sich über Erziehung und Erziehungsmaßnahmen nicht einig ist.
Es ist natürlich richtig, eine Meinung zu haben und diese auch zu vertreten und das kann auch ein Streitgespräch ergeben.
Aber was macht man dann, wenn man nicht weiter kommt?
Der Streit und weiter?
In unserem Bibeltext passiert folgendes (2b):
Wenn man sich nicht einigen kann, ist es sicherlich nicht falsch, auch einmal andere zu befragen, insbesondere auch Experten. Und das ist ja hier eine theologische Frage und da kann man ja einmal ruhig die anderen Apostel befragen. Und auch die Ältesten in Jerusalem sind schon recht lange dabei, haben Jesus z.T. noch als Mensch gekannt, die könnten schon Bescheid wissen.
Man kann sich natürlich auch auf den Standpunkt stellen, ich habe sowieso recht, da brauche ich niemanden fragen. Aber so kann man nicht zusammen leben und arbeiten.
Oder man umgibt sich nur mit Gleichgesinnten, die einem immer zustimmen, die sogenannte Filterblase oder Echokammer. Diese Unsitte greift immer mehr um sich. Man setzt sich nicht mehr den Meinungen anderer aus, um sich selber zu hinterfragen und dazuzulernen. Es ist ja auch viel schöner, wenn sich alle einig sind.
Oder man pöbelt nur in Foren herum, weil man ja sowieso genau Bescheid weiß und andere sich nicht genug informiert haben? Es postet jemand irgendetwas ungeschicktes oder unabsichtlich falsches und es ergießt sich ein Shitstorm über ihn.
Manch einer macht so etwas auch absichtlich, um einen Shitstorm zu provozieren, um sich dann als „allein gegen den Rest der Welt“ zu inszenieren.
Habt ihr Euch schon einmal an einem Shitstorm beteiligt? Auf Facebook oder Twitter? Tatsächlich habe ich ein Problem damit, ein Teil eines Sturms aus Sch... zu sein.
Wie haben das eigentlich Paulus und Barnabas auf dem Weg nach Jerusalem gemacht? (Apostelgeschichte 15, 3; NL)
Hier fehlt doch etwas, oder?
Warum steht hier nicht: Unterwegs machten sie überall Halt und diskutierten mit allen Gläubigen über diese Frage und erklärten ihnen ausführlich, warum diese Männer aus Judäa, die die Beschneidung forderten, falsch lagen.
Sie hatten doch recht, dann müssen sie doch ihre Meinung allen mitteilen. Die Wahrheit muss doch hinaus.
Das hätte einen analogen Shitstorm geben können. Wenn sie diesen Streit an genügend Orten verbreitet hätten, dann wären vielleicht aus jeder Gemeinde Menschen zu diesen Männern aus Judäa gereist und hätten denen mal die Meinung gesagt. Das wäre doch erheblich zur Wahrheitfindung beigetragen.
So haben Paulus und Barnabas aber nicht gehandelt. Sie waren sicherlich überzeugt davon, Recht zu haben, aber sie gehen demütig mit ihrer Erkenntnis um und sind bereit, sich hinterfragen zu lassen. Ich glaube, diese Haltung fehlt etwas in unserer Welt.
Die Lösung?
(Apostelgeschichte 15, 4.5; NL)
Der Streit wird nicht unter den Tisch gekehrt, aber er wird richtig eingeordnet. Die wichtigere kommt zuerst. Gott hat gewirkt, Menschen, die keine Juden sind, haben Jesus Christus gefunden. Das ist wichtiger als alle Streitfragen.
Ich denke, das gilt generell. Der Streit darf nicht unter den Teppich gekehrt werden, aber er muss richtig eingeordnet, priorisiert werden.
Oft genug habe ich auch erlebt, dass gesagt wurde, „Ach ist egal!“ Aber es war nicht egal, es schwelte dann, denn einer der Beteiligten war nicht in Lage, eine Meinungsverschiedenheit in konstruktiver, erwachsener Weise auszutragen. Ich glaube, manche Leute haben das in ihrem Leben auch nie gelernt.
Deswegen darf man einen Streit nicht unterdrücken, aber man muss trotzdem versuchen, seine Wichtigkeit richtig zu bewerten.
Wie geht es nun weiter? Die Experten setzen sich zusammen:
Zusammensetzen, lange beraten, das klingt nicht nach Spaß. Das ist es oft genug auch nicht.
Vielleicht zieht auch deswegen manch einer die Alternative „Ärgern im Stillen“ der Variante „Streitgespräch“ vor.
Die Experten treffen ihre Entscheidung nicht in einem geheimen Klüngelclub sondern beziehen die Gemeinde mit ein. Petrus gibt eine kurze Erklärung dazu ab:
Anscheinend haben sich die Apostel und Ältesten schon eine Meinung gebildet, die sie mit Argumenten vortragen. Das ist so, weil ich das sage, scheint hier nicht der richtige Weg zu sein.
Sie wollen die Menschen mitnehmen und das ist richtig.
Ich habe vor Jahren einmal in einer Firma gearbeitet, die hatte eine Abteilung „Forschung und Architektur“. Die haben sich tolle Sachen ausgedacht und Vorgaben für die Entwickler gemacht. Die Entwickler haben diese Vorgaben aber ignoriert. Tolle Sachen ausgedacht, aber die Leute nicht mitgenommen, das funktioniert nicht.
Man könnte jetzt die autoritäre Karte ausspielen, aber das funktioniert auch nicht, wenn solche Mitarbeiter problemlos woanders eine Stelle finden.
Weiter im Text:
Barnabas und Paulus unterstreichen mit ihren Erlebnissen das, was Petrus gesagt hat.
Und dann äußert sich noch der Gemeindeleiter von Jerusalem „Jakobus“ dazu:
Die Entscheidung an sich ist ja heute nicht wichtig, aber ein paar Punkte dieser Rede sind wichtig.
Er gibt wieder Begründungen für seine Meinung. Er nutzt nicht das Totschlagargument „Gott will es so“, sondern er spricht von seiner Überzeugung. Die hat schon Gewicht, aber es ist erst einmal nur seine Überzeugung.
Und nimmt noch einen Aspekt mit in den Blick, den andere vielleicht übersehen hatten. Es gab ja damals in jedem Ort auch Juden, die für Jesus gewonnen werden sollten. Deshalb sollte die Gemeinde sich zwar nicht dem jüdischen Gesetz unterwerfen, aber ein paar Punkte, die es Juden unnötig schwer gemacht hätten, zu Jesus finden, sollten vermieden werden.
Die Männer aus Judäa, die ja das Einhalten des mosaischen Gesetzes forderten, hatten zwar grundsätzlich Unrecht, aber sie wiesen durch ihre Meinung auf evt. Befindlichkeiten von jüdischen Menschen hin, die ja auch gewonnen werden sollten.
Und so kann es natürlich sein, dass eine Meinung zwar grundsätzlich eher verkehrt ist, aber das einzelne Punkte davon trotzdem beachtenswert sind. Normalerweise ist der andere ja kein Idiot. Er liegt vielleicht falsch, aber er hat sich hoffentlich Gedanken gemacht, und man sollte sich damit zumindest auseinandersetzen.
Alle einig?
Was kommt nun dabei heraus? (Apostelgeschichte 15, 22; NL)
Wichtig ist hier: „und die ganze Gemeinde“
Irgendwie sind alle eingebunden. Ob jetzt alle begeistert von dieser Entscheidung waren? Keine Ahnung, wahrscheinlich nicht. Die Gemeinde in Jerusalem war ja auch ziemlich groß, die konnten nicht alle an einem runden Tisch sitzen. Man muss bei solchen Personenmengen auch immer irgendwie organisatorische Herausforderungen lösen, das mussten die damals sicherlich auch.
Aber die ganze Gemeinde hat sich an der Auswahl der Boten beteiligt und sich damit offensichtlich hinter die Überzeugung, die Jakobus als seine beschrieben hat, gestellt. Anscheinend konnte die große Mehrheit überzeugt werden.
Sie schicken den Brief, wo sinngemäß dasselbe drinnen steht, was Jakobus erzählt hat, mit einem interessanten Zusatz in Apostelgeschichte 15, 28; NL
Anscheinend waren sie sicher, dass diese Art der Entscheidungsfindung geistgeleitet war.
„Durch den Heiligen Geist“, da würde man doch eher eine Vision oder Weissagung erwarten, oder? Aber der Heilige Geist fördert Gemeinschaft und will die Gemeinde zusammen führen. Von daher kann auch eine anstrengende Diskussion geistgeleitet sein.
Die Empfänger des Briefes werden dadurch ermutigt und freuen sich sehr.
Zusammenfassung
Ich fasse zusammen.
- Haltet Euch nicht selbst für klug, glaubt nicht, alles zu wissen.
- Seid nicht gleichförmig dieser Welt, insbesondere, als heutige Botschaft, im Umgang mit Meinungsverschiedenheiten.
- Unterschiedliche Meinungen können zu einem Streitgespräch führen, das ist völlig normal.
- Wenn man in einem Streit nicht weiterkommt, dann kann es sinnvoll sein, die Meinung anderer dazu zu hören.
- Man sollte seine Meinung nicht beliebig in die Welt hinaus tragen und damit den Streit ausweiten. Ein Shitstorm macht eigentlich nie Sinn.
- Ein Streit darf nicht unter den Teppich gekehrt werden, muss aber auch richtig eingeordnet werden.
- Beratungen können langwierig und anstrengend sein, sind aber auch ein Weg des Heiligen Geistes.
- Es ist wichtig, die Beteiligten einzubinden und nicht über ihre Köpfe hinweg zu entscheiden.
- In diesem Fall war das Ergebnis Ermutigung und Freude.