Einleitung
Es gibt ein Thema, dass mich schon ziemlich lange beschäftigt und mit dem ich auch immer wieder konfrontiert werde. Es geht darum, dass so manch einer glaubt, über diverse Dinge genau Bescheid zu wissen und es kann ja gar nicht anders sein.
Hier und da habe ich das in meinen Predigten in den letzten zwei Jahren auch schon thematisiert, aber ich habe mir diese Predigten noch einmal angesehen und kann so vermeiden, mich zu viel zu wiederholen.
Ich möchte dazu mit Euch einen Bibeltext aus dem neuen Testament betrachten, ein Gleichnis, das Jesus Christus erzählt hat (Lukas 18, 9–14; NEÜ)
Selbstvertrauen
Der erste Satz ist schon sehr interessant, insbesondere die Aussage „voller Selbstvertrauen“. Andere Bibelübersetzungen schreiben „überzeugt“, „auf sich vertrauen“, wieder andere wählen einen klar negativen Ausdruck, wie „selbstgerecht“ oder mit „falschem Selbstvertrauen“.
Das Wort, dass hier im Grundtext steht, ist eigentlich das Wort „überzeugt“ und wird an anderen Bibelstellen auch positiv verwendet. Der negative Gesamtklang kommt erst durch den Zusammenhang hier hinein. Wir kennen ja auch im Deutschen die Aussage, „sehr von sich überzeugt zu sein“, was immer negativ klingt.
Aber Selbstvertrauen ist eigentlich ein positiver Begriff; er wird hier negativ, weil sich einige Menschen aus ihrem Selbstvertrauen ein Recht ableiten, auf andere herab zu blicken.
Wie entsteht so ein Selbstvertrauen? Ich glaube, es gibt drei Ursachen dafür.
- Stand
- Wissen
- Können
„Stand“ kann „Herkunft“ oder die Zugehörigkeit zu einer Gruppe bedeuten. Ich gehöre irgendwo dazu, deswegen verdiene ich mehr Vertrauen, oder mehr Privilegien oder bin schlicht besser.
Das war z.B. früher mit dem Adel so. Alleine durch die Zugehörigkeit zum Adelsstand hatte man Privilegien und, wenn man dazu gehörte, fand man das auch richtig, wie das halt so ist. Gehört man dazu, findet man es meistens richtig.
Vielleicht hat das auch beim Pharisäer eine Rolle gespielt. Die Pharisäer waren eine Schule im alten Judentum und um Teil davon zu sein, musste man viel studieren und lernen. Wenn man es geschafft hatte, dann war man schon im Volk anerkannt. Da konnte man sich schon etwas darauf einbilden.
Und hier haben wir auch den Übergang zur zweiten Selbstvertrauensquelle, dem Wissen.
So ein Pharisäer hat so viel studiert, der muss doch Bescheid wissen. Und seine Kollegen bestärken ihn sicherlich darin.
So ein bisschen erinnert das an eine Filterblase. Man gehört zusammen, weiß genau Bescheid und die anderen kann man nicht ernst nehmen.
Ja, mit dem Wissen ist das immer so eine Sache. Ich hatte vor einem halben Jahr in einer Predigt schon einmal den Dunning-Kruger-Effekt erwähnt. Dieser Effekt bezeichnet die kognitive Verzerrung im Selbstverständnis inkompetenter Menschen, das eigene Wissen und Können zu überschätzen. (Dieser Satz ist aus Wikipedia abgeschrieben.)
Wenn man das als Kurve aufträgt, dann entsteht der Mount „Stupid“, auf Deutsch der Berg „Doof“. Ihr erinnert Euch vielleicht.
Wenn man also sein Selbstvertrauen aus seinem Wissen bezieht, dann sollte man sich kritisch hinterfragen, an welcher Stelle man in dieser Grafik ist. Vielleicht steht man ja auf dem Berg „Doof“.
Es geht auch noch schlimmer:
Bei einer Untersuchung wurden die Teilnehmer dieser Untersuchung aufgefordert, ihr Wissen über 150 verschiedene Themen einzuschätzen. Unter diesen Themen befanden sich 30 Themen, die lediglich eine Erfindung der Experimentatoren waren. Von den echten Themen gaben 44 % der Befragten an, sie einigermaßen zu kennen. Von den nicht existierenden behaupteten die Befragten dasselbe für etwa 25 % der Themen. Die Autoren bezeichnen diese Tendenz als over-claiming, eine Form der Selbstaufwertung, die unabhängig von den intellektuellen Fähigkeiten sei (Wikipedia: Dunning-Kruger-Effekt).
Hier sind wir natürlich bei dem alten christlichen Thema „Demut“. Es steht auch in Römer 12, 16; NEÜ:
Oder in der Übersetzung „Neues Leben“ gefällt es mir fast noch besser:
Wie gesagt, das Filterblasenphänomen ist nicht wirklich neu.
Die dritte Quelle für Selbstvertrauen ist das Können. Auch hier besteht natürlich die Gefahr der Selbstüberschätzung, aber die Gefahr ist nicht so groß, weil man ja häufig sehen kann, was einer kann.
Grundsätzlich ist ein gewisses Maß an Selbstvertrauen natürlich wichtig. Man kann häufig viel mehr, als man selbst glaubt und man kann auch immer dazu lernen.
Aber Selbstvertrauen darf natürlich nicht zur ungesunder Selbstüberschätzung werden und auch das Herabblicken auf andere ist ein großer Fehler. Und damit kommen wir zum Gleichnis zurück.
Ich bin richtig
Was betet denn der Pharisäer hier?
Hier hört man die Überheblichkeit und Selbstüberschätzung deutlich heraus. Ich bin richtig und ich mache alles richtig. Gott, du kannst zufrieden sein!
Schauen wir uns diese Aussagen ein bisschen näher an.
Er redet hier von „... ich ... bin...“, er sieht sich schon irgendwie in einem besonderen Stand. Er vergleicht sich mit dem Rest der Welt und er gewinnt in seinen eigenen Augen ganz klar. Die anderen, diese Räuber, Betrüger, Ehebrecher, alle diese anderen sind schlecht.
Heute heißt es vielleicht eher „diese angepassten Systemlinge“ oder so, aber man merkt, dass die Methode, andere außerhalb der eigenen Filterblase abzuwerten, nicht neu ist. Und, machen wir uns nichts vor, man ist selbst auch nicht davor gefeit.
Und in dieser Aussage steckt natürlich auch drinnen, dass er genau Bescheid weiß, was richtig ist und was Gott will. Er braucht Gott gar nicht zu fragen, sondern er kann einfach dafür danken, dass er richtig ist.
Und er weiß auch genau, warum er richtig ist, im Vergleich zu den anderen. Er fastet zweimal die Woche und gibt den Zehnten von allen seinen Einkünften. Wahrscheinlich spendet er sogar den zehnten Teil, wenn er etwas von seinen Küchenkräutern erntet. Es kommt ein bisschen Petersilie in die Suppe, aber den zehnten Teil von der Petersilie wird natürlich in den Tempel gebracht. So beschreibt es Jesus in Matthäus 23, 23.
Also, er ist richtig, weil er genau weiß, wie Gott denkt und was zu tun ist und er macht auch alles richtig, im Vergleich zu den andern da draußen.
Der Zöllner
Kommen wir zu dem Zolleinnehmer, kurz Zöllner. Man muss bei den damaligen Zöllnern natürlich betonen, dass das keine einfachen Staatsbedienstete waren, sondern dass sie für die Besatzer, die Römer, gearbeitet haben und dazu oft genug noch mehr eintrieben, als ihnen zustand. Man könnte sie also mit heutigen korrupten Beamten vergleichen.
Diese Zöllner waren also, man kann sagen häufig zurecht, sehr unbeliebt.
Wie betet dieser Zöllner?
Er verhandelt nicht („also so schlecht bin ich nun auch nicht“), er vergleicht nicht („manche sind noch viel schlechter als ich“), sondern er sieht sich vor Gott ganz unten.
Es ist nicht leicht, von außen zu beurteilen, was er sich hier so denkt, aber er war sich sicherlich bewusst, dass er in seinem Leben oft nicht richtig gehandelt hat. Wahrscheinlich hat er oft genug zuviel eingetrieben und schämt sich jetzt dafür.
Er kann Gott nichts bringen, es ist irgendwie nichts richtig in seinem Leben, so dass ihm nur noch dieses Gebet „Gott, sei mir Sünder gnädig.“ bleibt.
Dieses Bewusstsein ist der Anfang für ein Christenleben. Vor Gott kann ich nichts, bin eigentlich nichts und weiß eigentlich auch nicht, wie es richtig geht.
So fängt es an. Und manchmal muss man sich als Christ das auch immer wieder neu bewusst machen, dass ohne Gott nichts geht.
Gottes Urteil
Kommen wir zu Gottes Urteil (V.14):
„Für unschuldig erklärt“, andere Übersetzungen schreiben „gerechtfertigt“ oder auch von „Schuld befreit“. Das ist natürlich der Anfang, oder auch ein Neuanfang. Gott befreit von Schuld und so kann man sein Leben erneuern.
In diesem Gleichnis werden Änderungen im Verhalten oder so etwas gar nicht thematisiert, weil es zum Einen den Rahmen des Gleichnisses sprengen würde und zum Anderen, bei aller Schwierigkeit, es sich aus dieser Befreiung von Schuld ergibt.
Der Pharisäer wird nichts ändern. Er ist in seinen Augen ja richtig. Er hat nicht die Möglichkeit, sich weiter zu entwickeln, dazuzulernen. Warum auch?
Gott kann so einen Menschen nicht für unschuldig erklären, er kann ihm keine Befreiung von Schuld geben. Wer zu Gott kommt und sagt, ich bin richtig, der hat keine Chance.
Und jetzt kommt noch eine Begründung:
Und der Pharisäer hat sich auf einen Sockel gestellt und auf die anderen herunter geblickt. Und um überhaupt zu Gott kommen zu können, muss er irgendwann die schmerzhafte Erkenntnis bekommen, dass er nicht alles weiß, nicht alles richtig macht, ja das er nicht richtig ist.
Und das ist schwer. Man ist sich so sicher und man fühlt sich in seiner Erkenntnis so wohl. Das kann einen ganz schön erniedrigen, wenn einem die Augen geöffnet werden.
Der Zöllner hat erkannt, dass so vieles in seinem Leben nicht stimmt, dass er ganz unten ist und nun kann er mit Gott neu beginnen. Und Gott wird mit ihm gehen und ihm helfen.
Zusammenfassung
Ich fasse zusammen.
- Wir haben uns das Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner angesehen.
- Zuerst haben wir uns mit dem Thema „Selbstvertrauen“ beschäftigt, welches auf Stand, Wissen oder Können beruhen kann. Bei Stand und Wissen neigen Menschen zur Überheblichkeiten und dieser Text warnt uns dafür. Bildet euch nicht ein, alles zu wissen, so wie es in Römer 12, 16 heißt.
- Dann haben wir uns das Gebet des Pharisäers näher angesehen. Er glaubt, dass er genau weiß, was Gott will und er denkt, dass er alles richtig macht. Gott kann zufrieden sein, so denkt er.
- Der Zöllner ist sich vollkommen bewusst, dass sein Leben vor Gott nicht in Ordnung ist. Er fühlt sich ganz unten und das ist der richtige Zustand für einen Anfang oder auch einen Neuanfang mit Gott. Ohne Gott geht nichts.
- Und Gott befreit den Zöllner von der Schuld. Der Pharisäer dagegen geht leer aus, denn er braucht ja nichts von Gott, denn er ist ja schon richtig.