Demut und Wissen: Was weiß ich eigentlich?

Demut, ein Begriff aus einer vergangenen Zeit? Was ist das, braucht man das und was weiß ich eigentlich?

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Einleitung

Ich hatte vor ein paar Wochen ein interessantes Telefonat. Das war der Vorsitzende eines Vereins, wo ich noch Mitglied bin und wir haben erst über die Zukunft des Vereins gesprochen haben. Später sind wir dann auf allgemeinere Themen gekommen und da stellte sich heraus, dass mein Gesprächspartner sich nicht gegen Corona impfen lassen wollte. Außerdem fand er Merkel doof, weil sie 2015 die Grenzen für Flüchtlinge geöffnet hat und er war auch der Meinung, dass Windräder Vögel schreddern würden.

Ich habe während des Gesprächs ein paarmal geschluckt, weil ich diese drei Punkte doch recht anders sehe, was ich auch sachlich anbringen konnte.

Allerdings wollte ich mich sowieso nicht nur in meiner Meinungsblase bewegen und außerdem war mir der Typ sympathisch und so haben wir fast eine Stunde telefoniert.

Im Nachhinein musste ich noch öfter über das Gespräch nachdenken. Unsere Gesellschaft wirkt ja manchmal wie gespalten, gerade bei so Themen wie Klimawandel, Korona und Asylbewerber.

Interessanterweise treten nach meiner Beobachtung Klimaskeptik, Impfskeptik und Asylrechtskeptik häufig zusammen auf und die AfD versucht genau in diesem Personenkreis ihre Wähler zu finden.

Ob jetzt mein Gesprächspartner vom Telefon ein AfD-Sympathisant ist, weiß ich nicht. Aber es muss trotzdem möglich sein, sich gut zu verstehen, auch wenn die Meinungen konträr auseinander gehen. Aber man darf sich dabei auch nicht verbiegen.

Und wenn ich ihn auf irgend einem Vereinstreffen wiedersehen würde, dann werde ich mich auch gerne wieder mit ihm unterhalten. Wie gesagt, unabhängig von einigen seiner Ansichten, fand ich ihn nett.

Aber wenn man sich z.B. aus den genannten Themen das Thema „Windenergie“ ansieht und z.B. den Wikipedia-Artikel „Windkraftanlage“ liest, wo auch die Risiken und Probleme von Windkraftanlagen beschrieben werden, dann sieht man ziemlich, dass der Ausdruck „Vogelschreddern“ für Windräder eigentlich dummes Zeugs ist. Es gibt vereinzelt Situationen, wo Windräder an einigen Orten zu bestimmten Zeiten heruntergefahren werden sollten, weil dann bestimmte Vogelarten häufig fliegen und ein höheres Risiko für Vogelschlag existiert.

Eine kanadische Studie hat ermittelt, dass die Zahl der durch Winräder getöteten Vögel bei 20.000 bis 28.300 liegt, während die Zahl durch menschliche Aktivitäten bei 270 Millionen, durch Katzen bei 200 Millionen und durch Kollision mit Gebäuden bei 25 Millionen liegt.

Ich habe jetzt auf der Windkraft etwas herumgeritten, weil ich damit klar machen möchte, dass viele Probleme sehr kompliziert sind und man sie sehr differenziert betrachten muss. Einfache Parolen wie z.B. „Vogelschredder“ werden den Sachfragen einfach nicht gerecht.

Einfache Parolen und Aussagen für komplexe Sachverhalte, das gibt es bei Christen manchmal auch.

Sind

Christen anfällig für einfache Erklärungen?

Hier spielt auch der Begriff „Verschwörungstheorie“ mit hinein, den ich eigentlich nicht so mag, aber irgendwie passt er schon zu den meisten Aussagen, die ich von einigen christlichen Bekannten so gehört habe:

Das waren alles Aussagen von Christen. Am meisten regt mich immer die Betonung auf, dass man keine Angst habe: „Ich hab' keine Angst!!“

Also zum Einen ist Angst zwar ein schlechter Ratgeber, aber eigentlich etwas ganz normales. Das schreibt Luther so schön in Johannes 16, 33b; LUT:

In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.

Und ich glaube, dass ist etwas, was uns immer wieder begegnet. Und Jesu Trost müssen wir uns auch immer wieder neu vergegenwärtigen und neu erleben.

Ja, wie typisch sind solche Aussagen für Christen, wie anfällig sind Christen für vereinfachte Aussagen, für Verschwörungstheorien?

Also zum einen muss man festhalten, dass wir Christen quasi Geheimwissen haben, z.B. 1. Korinther 1, 21; NL

Obwohl die Welt von der Weisheit Gottes durchdrungen ist, konnte sie ihn durch ihre Weisheit nicht finden. Gott hat eine Botschaft, die unsinnig erscheint, dazu benutzt, alle zu retten, die daran glauben.

Da wir Christen zumindest in den meisten Teilen der Welt in der Minderzahl sind, bedeutet dieser Vers auch, dass die übergroße Mehrheit das Evangelium für Unsinn hält und es für diese große Mehrheit verschlossen ist.

Wir Christen wissen, dass das Evangelium wahr ist und natürlich wollen wir nicht, dass es geheim bleibt. Aber für vielen Menschen kapieren das Geheimnnis des Evangeliums nicht, oder wollen es nicht kapieren.

Nun könnte man als Christ dazu verführt werden, dass man auch andere Aussagen von Christen einfach so als wahr hinnimmt, obwohl diese Unsinn sein könnten.

Ich glaube, wir müssen hier ziemlich demütig sein. Es gibt tatsächlich nur wenige wirklich wahre Aussagen, hinter denen wir nicht zurückdürfen:

Vielmehr eindeutige Wahrheit gibt es meiner Ansicht nach nicht. Bei allen anderen Aussagen und Themen müssen wir äußerst demütig sein.

Wir wissen doch eigentlich nichts. Bei so vielen Themen können wir nur Informationen sammeln, uns austauschen und in defensiver, demütiger Weise versuchen, uns eine Meinung zu bilden.

Nehmen wir als Beispiel die Aussage: Corona ist harmlos. Woran will man das festmachen? Die Mehrzahl der Wissenschaftler ist nicht dieser Meinung. Aber dann gibt ganz seltsame Prediger, die Corona irgendwie mit der Endzeit verknüpfen und es gibt auch Christen, die das glauben. Oder Aussagen wie, dass der Impfstoff nicht lange genug getestet worden wäre. Ich habe zwar Biologie mit Schwerpunkt Mikrobiologie als Nebenfach auf der Uni gehabt, aber so eine Aussage würde ich mich nie trauen, da habe ich keine Ahnung von.

Andere Aussagen wie z.B. mit der Veränderung des Erbguts durch mRNA-Impstoff kann ich schon als Unsinn beurteilen, zumindest nach Auffrischung meines verschütteten Uni-Wissens mit dem Wikipedia-Artikel über mRNA.

Zu manchen Aussagen fällt mir gar nichts mehr. Eine Aussage, die ich gehört hatte, allerdings nicht von einer Christin, war von einer Frau, die ihrem Freund zugerufen hat: „Lass dich nicht mit AstraZeneca impfen, sonst wirst Du unfruchtbar.“ Da bin ich raus.

Wir glauben im Alltag echt viel. Wir fahren z.B. mit Autos über Brücken und vertrauen darauf, dass die Ingenieure und Bauarbeiter bei der Konstruktion und auch bei der Wartung keinen Murks gemacht haben. Und in Genua in Italien ist 2018 trotzdem eine Brücke eingestürzt.

Zweifeln und sich Gedanken machen ist ja in Ordnung, aber in einer Weise, dass es die eigenen mangelnden Kenntnisse in demütiger Weise mit berücksichtigt.

Ich gehe aber einfach einmal davon aus, dass die Mehrzahl von uns Christen das auch tun. Das würde zumindest meiner persönlichen Erfahrung entsprechen.

Begegnungen mit Menschen, die anders denken

Kommen wir noch einmal zu meinem Gespräch zurück, dass ich in der Einleitung beschrieben habe. Eine gewisse Spaltung der Gesellschaft kann man ja schon bemerken, insbesondere im Themenbereich Klimawandel, Einwanderung und Corona.

Aber es gibt auch andere Themen, die spalten. Mich persönlich nervt das sprachliche Gendern, mit Sternchen oder Doppelpunkt. Ich habe mir jetzt für meinen Browser ein Plugin installiert, dass die Genderformulierung aus Web-Seiten herausfiltert. Auf mobilen Endgeräten geht das noch nicht, aber meistens surfe ich auf meinem Computer. Es ist eine einfache Lösung für mich, aber ist es richtig so?

Wir sollten aufpassen, dass wir uns nicht in Meinungsblasen einschließen. Wir müssen uns mit Demut mit Themen beschäftigen. Und wir müssen dabei auch lernen, inhaltliche Konflikte auszuhalten.

Noch ein Beispiel aus der Politik dazu: Ich persönlich halte den Klimawandel für ein Problem und bin der Meinung, wir sollten noch schneller als bisher auf erneuerbare Energien umsteigen: Mehr Windräder, mehr Solardächer, mehr dezentrale Energieerzeugung. Politisch wäre ich in diesem Punkt wohl den Grünen ziemlich nahe. Andererseits gibt es laute Stimmen bei den Grünen, die die Abtreibung vollständig liberalisieren wollen. Das geht für mich gar nicht. Deswegen könnte ich mich politisch nicht in einer grünen Blase wohlfühlen.

Aber diese differenzierte Sicht auf Themen möchte ich behalten.

Man wird wahrscheinlich auch im Programm der AfD vernünftige Punkte finden, aber die Mehrzahl der Punkte sind für mich nicht akzeptabel. Ich werde definitiv nicht AfD wählen.

Aber ich finde es wichtig, dass man weiß, warum man etwas gut findet und warum eben nicht, und dass man sich seinem eigenen unvollständigem Wissen dabei immer wieder bewusst wird. Das ist diese Demut, auf die ich in dieser Predigt immer wieder zurückkomme.

Das gilt insbesondere, wenn man mit Andersdenkenden in den Austausch kommt, also seine Meinungsblase verläßt. Man muss sich nicht verbiegen, aber man muss zumindest verstehen, was der andere denkt und im Idealfall nachvollziehen können, wie er darauf kommt.

Ein Beispiel dazu von Paulus in 1. Korinther 9, 19-21; NL

19 Den Juden bin ich einer von ihnen geworden, um sie für Christus zu gewinnen. Bei denen, die sich an das Gesetz halten, verhalte ich mich ebenso - obwohl ich nicht unter dem Gesetz stehe -, damit ich sie für Christus gewinne. 21 Wenn ich bei Nichtjuden bin, die das jüdische Gesetz nicht haben, passe ich mich ihnen so weit wie möglich an, um sie für Christus zu gewinnen. Allerdings lasse ich Gottes Gesetz dabei nicht außer Acht, sondern befolge das Gesetz, das ich von Christus habe. 22 Wenn ich bei den Schwachen bin, werde ich bei ihnen wie ein Schwacher, um sie für Christus zu gewinnen. Ja, ich versuche bei allen Menschen eine gemeinsame Grundlage zu finden, um wenigstens einige von ihnen für Christus zu gewinnen.

Einerseits passt sich Paulus den Menschen an, so weit wie möglich. Und dazu gehört natürlich, zu verstehen, was einen Menschen bewegt, was er denkt. Dabei verbiegt sich Paulus aber nicht, er betont, dass er weiter zu Christus gehört. Und das hat er ja auch nicht verschwiegen, denn sonst hätte er ja keinen für Jesus gewinnen können.

Ich finde diesen Vers in dieser Übersetzung sehr schön formuliert: „Eine gemeinsame Grundlage zu finden“, eine gemeinsame Gesprächsgrundlage. Man tauscht sich mit Leuten aus, nimmt sie als Person ernst, ohne unterschiedliche Meinungen zu verschweigen. Dadurch baut man Beziehung und vielleicht oder hoffentlich werden diese Gesprächspartner auch neugierig auf diesen Jesus, der unser Leben ja hoffentlich irgendwie prägt.

Die eigene Meinungsblase zu verlassen bedeutet auch, die eigene Komfortzone zu verlassen. Das ist natürlich nicht leicht. Es ist viel schöner, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen.

Aber für die eigene Weiterentwicklung ist es positiv, sich anderen Meinungen zu stellen, auch wenn sie vielleicht ziemlich krude scheinen. Und zusätzlich ergeben sich vielleicht auch Möglichkeiten, neue Leute irgendwie auf Jesus hinzuweisen.

Was ist mit Menschen, die richtigen Mist denken und tun?

Jesus begegnet Menschen, die verwerflich handeln

Mir fällt Jesus dazu als Beispiel ein, der sich mit Zöllnern gut verstanden hat.

Man muss sich dabei überlegen, dass Zöllner zum Großteil korrupte Beamte waren. Sie waren dazu da, dem Staat und dem Bürger zu dienen und viele von denen haben sich an den Bürgern bereichert. Jesus hat natürlich nicht ihr Handeln gutgeheißen, aber er hatte trotzdem Gemeinschaft mit ihnen, z.B. in Matthäus 9, 10; NGÜ:

10 Später war Jesus im Haus ´des Matthäus` zu Gast. Viele Zolleinnehmer und andere Leute, die als Sünder galten, waren gekommen und nahmen zusammen mit ihm und seinen Jüngern an dem Essen teil.

Und einige Zöllner haben ihr Leben durch die Begegnung mit Jesus geändert, Matthäus ist ja sogar einer seiner Jünger geworden.

Würde Jesus heute z.B. in eine rechtsradikale Kneipe gehen, um mit den Leuten dort zu sprechen? Höchstwahrscheinlich.

Wahrscheinlich würde ihm dann dasselbe passieren, wie in Matthäus 11, 19; wo Jesus als Freund der Zöllner und Sünder beschimpft wurde. Er würde dann nach Gesprächen mit Neonazis als Freund der Rechten beschimpft werden.

Nun sind solche Vergleiche auch schwierig. Einen rechten Gewalttäter, der z.B. ein Asylantenheim anzündet, würden wir sicherlich als „schlimmer“ einschätzen als einen korrupten Beamten. Einen rechtsdenkenden Menschen, der seine Steuern zahlt und sich an die Gesetze hält, aber rechte Parolen verbreitet, ist finanziell gesehen nicht so schlimm wie ein korrupter Beamte, der sich auf Kosten der Allgemeinheit bereichert.

Wir merken schnell, dass solche Vergleiche zu nichts führen und keinen Sinn machen.

Ich war vor Jahren mal auf einer Landesverbandstagung vom Landesverband Rheinland und dort sprach ein Gastredner über Neonazis. Eine evangelische Kirchengemeinde irgendwo im Ruhrgebiet hat Neonazis explizit von ihrem Kirchenfest ausgeschlossen.

Da entstand genau diese Diskussion: Wie hätte Jesus gehandelt?

Es bleibt natürlich schwierig, insbesondere wenn Neonazis bedrohlich auftreten, was ja nicht selten vorkommt. Was ist dann mit anderen Besuchern des Kirchenfestes, z.B. Menschen mit ausländischen Wurzeln?

Ich glaube, hier gibt es kein Patentrezept, sondern man muss im Einzelfall um die richtige Entscheidung ringen. Und auch hier ist eine gewisse Demut angesagt, denn man kann sich nicht sicher sein, ob man bei einem anderen Umfeld nicht auch für solche Gedanken offen wäre.

Jesus wurde übrigens mehrfach, auf diese Gemeinschaft mit Zöllnern und Sündern angesprochen, z.B. auch in Matthäus 9, 11.12; NGÜ

11 Als die Pharisäer das sahen, sagten sie zu den Jüngern: »Wie kann euer Meister nur zusammen mit Zolleinnehmern und Sündern essen?« 12 Jesus hörte das und erwiderte: »Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken.

Sünder, und da gehören wir ja auch zu, sind einerseits für ihre Sünden selbst verantwortlich, aber trotzdem irgendwie auch krank und brauchen den Arzt Jesus.

Und Sünder denken oft genug auch schlechte Gedanken und begehen auch schlechte Taten. Und natürlich auch rechtsextremes Gedankengut sind schlechte Gedanken und produziert oft auch schlechte Taten. Und auch diese Menschen brauchen Jesus.

Aber es geht mir nicht nur um Rechtsextreme, sondern generell um Menschen mit seltsamen oder vielleicht sogar schädlichen Ideen. Auch solchen werden wir begegnen und vielleicht die Gelegenheit bekommen, auf Jesus hinzuweisen.

Und wenn jemand von euch nicht weiß, wie er das tun soll, dann darf er Gott um diese Weisheit bitten. So steht es in Jakobus 1,5.

Und das gilt natürlich für alle Gespräche.

Zusammenfassung

Ich fasse zusammen.