Einleitung
Ich möchte heute an einen Punkt aus der Predigt von vor zwei Wochen anknüpfen, und zwar daran, daß wir hin und wieder gerne einmal andere beschuldigen.
Vergangene Woche ist es mir wieder vor Augen geführt worden. Wir hatten eine neue Küchenmaschine bestellt, u.a. zum Brotteigrühren, weil die alte Küchenmaschine neuerdings damit anfing, nach-Metall-riechendes, schwarzes Pulver mit den Teig zu rühren. Und da die alte Maschine kein Gewürzdepot hat, kam dieses Pulver irgendwie aus dem Rührwerk, sie hat uns quasi ihr Innerstes preisgegeben.
Schweren Herzens haben wir eine neue bestellt und als ich am Dienstag von der Arbeit nach Hause kam, war meine Frau begeistert dabei, sie auszuprobieren und unsere Mädchen spielten mit dem Styropur aus der Verpackung Roboter. Da bei dieser neuen Küchenmaschine ganz viele Teile mit dabei waren und die Arbeitsfläche aber eher klein ist, kam es, wie es kommen mußte: Es fehlte irgendwann etwas, ein Deckel.
Mir war natürlich direkt klar, daß das meine kleine Tochter gewesen sein muß. Ist doch klar! Sie versicherte natürlich, daß sie es nicht war, aber das kennt man ja. Meine Frau und ich schauten überall nach und ich lief auch zu ihrem Zimmer, fand aber nichts.
Nachher stellte sich heraus, daß meine Frau diesen Deckel in einen Schrank gelegt hatte, weil so wenig Platz auf der Arbeitsfläche war.
Dieses Erlebnis machte mir noch einmal die Notwendigkeit dieses Themas klar, denn mir ist das auch selbst schon so oft passiert, insbesondere wenn ich irgendwas langfristiges im Haus arbeite. Da ist dann der Zollstock auf einmal weg und das kann ja nur... wer auch immer..., bis man ihn dann da findet, wo man zuletzt gemessen hat. Manche dieser Probleme kann man durch bessere Organisation oder Ordnung in den Griff bekommen, aber das grundsätzliche Problem der falschen Einstellung bleibt.
Meine Uroma hat im Alter von über 80 öfter 'mal ihr Portemonnaie verlegt und dann immer meinen Bruder beschuldigt, daß er es geklaut hätte. Meine Mutter hat dann mit ihr zusammen gesucht und das Portemonnaie dann irgendwo im Schrank gefunden. Mein Bruder, welcher damals so um die 10 war, hat natürlich nie das Portemonnaie gestohlen.
Man lächelt vielleicht ein bißchen über die Vergeßlichkeit und Schusseligkeit von alten Leuten, aber die Saat dieses Mißtrauens muß doch vorher gelegt worden sein. Ich weiß von Erzählungen, daß meine Uroma oft von ihrem zweiten Mann hintergangen wurde, und vielleicht wuchs so das allgemeine Mißtrauen immer mehr.
Ich habe hier und da schon schwierige alte Menschen kennengelernt: Unbelehrbar, starrköpfig, mißtrauisch, alles und jeden verdächtigend und allen nur Böses zutrauend. Sie wollen gar nicht merken, was sie ihrem Umfeld antun. Das sind dann die Leute, von dessen Verwandten man einen Tritt unter dem Tisch bekommt, wenn man auf irgendeine Bemerkung des oder der Alten antworten will.
So möchte ich persönlich nicht werden. Ich möchte, daß meine Bekannten und Verwandten sich freuen, wenn ich sie mit über 80 besuchen kommen und nicht nur Pflichtbesuche empfangen. Vielleicht bin ich ein bißchen schusselig, eigensinnig, vielleicht ein bißchen wunderlich, aber nicht böse, unversöhnlich und mißtrauisch.
Gott sei Dank sind nicht alle alten Menschen so, ich habe auch viele nette kennengelernt und wir wollen heute anhand verschiedener Stellen in der Bibel versuchen zu lernen, wie man mit Beschuldigungen umgehen kann.
Beschuldigungen an sich
Beginnen wir mit einer grundsätzlichen Betrachtung von Beschuldigungen (5. Mose, 15-21):
Kurz zur Einordnung dieses Textes: Das alte Testament als Ganzes ist ja als Hinweis auf Jesus Christus gedacht, besteht dabei aber aus vielen verschiedenen Texttypen. Hier haben wir z.B. einen Text, der einen Aspekt des Gerichtswesens im alten Israel regeln soll. Für uns Christen dient dieser Text nicht zur wörtlichen Umsetzung, sondern zur Illustration bestimmter Prinzipien.
Hier finden wir direkt am Anfang eine wichtige Aussage: „Verurteilt niemanden, wenn es nur einen einzigen Zeugen gibt.“ Wenn wir das jetzt mit unserem Beschuldigungsproblem vergleichen, dann vorverurteilen - und auch das ist verurteilen - wir ja leider manchmal schon nur auf Verdacht hin. Zeuge? Ist doch klar, wer das war! Das kann ja nur meine Tochter gewesen sein.
Dann wird das Problem einer vorsätzlichen, falschen Beschuldigung angesprochen. Dabei wird auch wieder auf eine gründliche Prüfung wert gelegt, um wirklich die Wahrheit herauszubekommen. Diese gründliche Prüfung ist ein wichtiges Prinzip.
Aber vorsätzliche, falsche Beschuldigung? So was machen wir nicht. Wir machen das eher leichtfertig, aber leider oft genauso schmerzbefreit. Vorurteile gehören übriges auch in diese Kategorie, denn Vorurteile sind leichtfertige Urteile, bevor man irgendwas geprüft hat oder mit demjenigen irgendwie gesprochen hat.
Das Urteil für vorsätzliche, falsche Beschuldigung in unserem Text ist vielleicht ganz schön hart, aber es entspricht einer Welt, wo es noch keine Vergebung gibt, die von Rache geprägt war und wo Gerechtigkeit als neues Konzept Menschen nahegebracht werden mußte.
Letztendlich bedeutet dieses Strafmaß, daß man die Strafe bekommt, die man einem anderen anhängen wollte. Wollte man z.B. seinem Nachbarn einen Mord unterstellen, damit er hingerichtet wird, dann wurde der falsche Ankläger selber hingerichtet, zusätzlich zu dem eigentlichen Mörder.
Nun reden wir nicht von vorsätzlicher Beschuldigung, sondern von leichtfertiger Beschuldigung. Welche Strafe wäre dafür angemessen? Natürlich, wenn wir selber die Zu-Unrecht-Beschuldiger sind, dann hoffen wir natürlich, daß wir ohne Strafe aus dieser Nummer herauskommen. Man möchte man sein Fehlurteil möglichst schnell vergessen.
Und wenn wir die Opfer sind? Dann haben wir vielleicht diverse Gewaltfantasien, obwohl, als Christen eigentlich nicht. Aber was machen Opfer? Manche fressen es in sich rein, mit Langzeitfolgen, und wundern sich, daß das den Täter nicht interessiert. Andere sprechen es immer wieder an und können nicht loslassen. Das ist aber eher eine zusätzliche Strafe für das Opfer als für den Täter.
Wenn der Beschuldiger ein Wiederholungstäter ist, dann wird er als Strafe irgendwann erleben, daß immer weniger etwas mit ihm zu tun haben wollen.
Folgen von Beschuldigungen
Eine weitere Folge von Beschuldigungen kann sein, daß sich der Beschuldigte daran gewöhnt.
Z.B. sagt der Teenager sich irgendwann: „Ich bin es eh immer gewesen, da kann ich auch wirklich etwas anstellen.“ Vielleicht lernt das Kind sogar noch früher: „Ich bekomme eh immer Schimpfe, also mach ich einfach, was mir in den Sinn kommt.“
Oder der Ehepartner, müde vom dauernd beschuldigt werden, alles falsch zu machen, wartet auf die Gelegenheit, es heimzahlen zu können. Vielleicht haut er auch irgendwann ganz ab. Auch die ärmsten Würstchen platzen irgendwann.
Man merkt hier eine Parallele zur Kritik. Konstruktive Kritik, wo es um eine Sache geht, über die man dann sachlich spricht und sie klärt, ist schon schwer genug. Denn einerseits wird keiner gerne kritisiert, denn die Leute, die Kritik einfordern, um sich selbst zu optimieren, die sind doch sehr rar gesät. Andererseits ist es oft auch schwer, sachlich zu kritisieren, da uns eine Ist-doch-klar-Mentalität meistens näherliegt.
Aber Dauer-Kritik, die meist einher mit Worten wie „Immer!“ und „Nie!“ geht, ist nicht konstruktiv und hat denselben Charakter wie eine ungerechtfertigte Beschuldigung. Ein Klassiker dabei ist auch die Formulierung „Schon wieder!“
Ob ich nun freigiebig meine ungeprüfte Kritik meinen Mitmenschen zukommen lassen, oder sie leichtfertig verdächtige, das macht kaum einen Unterschied. Es bringt den anderen in einen Rechtfertigungszwang und da sie meist auch eher lieblos vorgetragen wird, bewirkt sie auch genau gar nichts.
Vorbeugende Strategien
Wie geht man nun vor? Wie vermeidet man voreilige Beschuldigungen und Kritik? Ich bin in der Bibel auf das Konzept der Freistädte gestoßen.
Ich lese aus 5. Mose 19, 2-5; NL
V. 10-13;
Hier ist der Unterschied zwischen Totschlag und Mord beschrieben. Uns soll hier das Prinzip interessieren. Es hat jemand etwas angestellt, aus Sicht der Opfer ist es erstmal nicht zu erkennen, ob es Vorsatz oder nicht war.
Es gab damals noch keine Polizei, so daß manche Verbrechen wie Mord von den Angehörigen selber gerächt werden sollten. Aber auch sonst wurde gerne Rache geübt, so daß man alles, was man von jemand anderes erdulden mußte, rächen wollte, möglichst doppelt und dreifach. Das ist vergleichbar mit möglichst noch fester zurückhauen. Von daher ist diese Auge-um-Auge und Zahn-um-Zahn, was wir vorhin gehört haben, ein gesellschaftlicher Fortschritt für die damalige Zeit, weil es das Aufschaukeln der gegenseitigen Rache verhindert.
In der Freistadt war der mögliche Täter erst einmal unantastbar. Und dort konnte in Ruhe geprüft werden, ob er wirklich schuldig war. Die reflexhafte Reaktion, die Affekt-Handlung, war nicht mehr möglich. Man mußte sachlich über die Angelegenheit reden.
Und das finde ich ein wichtiges Prinzip bei diesen Freistädten. Der Verdächtiger ist ersteinmal in Sicherheit. Wenn wir jemanden verdächtigen, beschuldigen, kritisieren als Person, dann tun wir doch mal so, als wäre er in einer Freistadt, und wir müßten erstmal gründlich die Angelegenheit betrachten und neutrale Personen überzeugen. Wieviel würde dann von unserer Beschuldigung bleiben? Man muß ja nicht sofort einen Mediator einschalten, aber man könnte sich ja mal vorstellen, wie das wäre, wenn es einen Mediator gäbe. Gäbe es dann auch noch die Kritik?
Selbstverständlich muß natürlich auch einmal kritisieren, man muß auch z.B. einmal seine Kinder bestrafen, wenn sie etwas anstellen. Aber das reflexhafte, leichtfertige, schnelle Reden muß eigentlich überwunden werden.
Interessanterweise durfte der Totschläger die Freistadt erst wieder verlassen, wenn der Hohepriester, der zum Zeitpunkt des Urteils lebte, verstorben war (4. Mose 35, 26-28):
Hier haben wir übrigens einen Hinweis auf Jesus Christus, der ja im Hebräer-Brief als unser Hohepriester bezeichnet wird. Beim Hohepriester ist er sicher.
Wir könnten ja auch erst einmal mit Jesus über unsere Beschuldigungen oder Kritik sprechen. Was würde Jesus darüber denken?
Jeden, den wir in unserem Alltag verdächtigen oder beschuldigen wollen, hat das Recht auf eine sachliche Betrachtung der Vorwürfe. Er oder sie hat das Recht auf einen Freistadt-Aufenthalt, ohne das wir ihm oder ihr leichtfertig unsere Vorwürfe um die Ohren hauen.
Mit Jesus richtig beschuldigen
Schauen wir doch mal, wie Jesus mit so etwas umgegangen ist (Johannes 8, 2-11; NGÜ):
Um eines ganz klar zu stellen: Ehebruch ist wirklich eine schlimme Sünde, das möchte ich schon betonen.
Aber schauen wir uns einmal den Ablauf an.
Die Pharisäer stellen die Ehebrecherin in die Mitte, so daß sie jeder sehen kann. Machen wir das auch so, wenn wir jemandem etwas vorwerfen? Erstmal sich am Telefon, im Chat, auf Facebook vor aller Welt Luft machen, was der andere doch für ein Vollpfosten oder ein gemeiner Typ ist? Man kann nicht wieder einsammeln, was man in die Welt hinausposaunt hat.
Die Pharisäer wollten Jesus natürlich vorführen. Sie hatten recht, und wehe, wenn Jesus widersprochen hätte.
Aber wie wichtig ist es, recht zu haben? Was nützt es dir, wenn du immer recht hast, aber keiner mehr etwas mit dir zu tun haben will? „Rechthaberisch“, das Wort ist irgendwie negativ belegt, oder? Bei Sachentscheidungen, z.B. bei teuren Anschaffungen, muß man die richtige Entscheidung treffen und vielleicht auch seine Meinung verteidigen.
Aber sonst? Warum will man recht haben? Zieht man sein Selbstwertgefühl aus dem Recht-Haben? Fühlt man sich anderen überlegen, wenn die anderen Unrecht haben?
Es kann sich gut anfühlen, recht-zu-haben. Wir hatten in der Schule, 8. oder 9. Klasse in der Pause die Diskussion, ob der Mond sich beim Umlauf um die Erde sich einmal um sich selbst dreht. Der Mond zeigt der Erde ja immer diesselbe Seite. Da ich viele Astronomiebücher gelesen hatte, wußte ich, daß er es genau einmal pro Runde tut, das nennt man gebundene Rotation. Alle anderen haben mir widersprochen, aber da ich genau wußte, daß ich Recht hatte, habe ich entspannt darauf gewartet, wie der Lehrer mir vor der ganzen Klasse Recht gab. Das fühlte sich schon gut an.
So ein Verhalten wirkt irgendwie kindisch, und trotzdem geht es uns noch oft genug so, daß wir Recht haben wollen, vielleicht insgeheim, weil es sich so gut anfühlt.
Für Jesus ist es hier gar nicht wichtig, wer recht. Und weil er weiß, daß die Pharisäer sowieso nicht an einem konstruktiven Gespräch interessiert sind, antwortet er hier gar nicht. Dann lenkt er den Blick auf das eigentliche Problem: Wer von euch ohne Sünde ist, der soll den ersten Stein auf sie werfen.
Auf einmal ist es nicht mehr wichtig, wer recht hat. Die Pharisäer lassen die Steine fallen und gehen der Reihe nach weg.
Hier wird die Absicht Jesu deutlich. Er verhält sich konstruktiv und hilfreich. Zuerst hilft er den Pharisäern. Er führt ihnen ihre eigene Sünde vor Augen und das ist schmerzhaft, aber auch heilsam. Wir wissen nicht, was jeder Pharisäer für sich daraus gemacht hat, aber er hat sicherlich über sein Leben und seinen Zustand nachgedacht.
Dann wendet sich Jesus an die Frau: Zuerst fragt er sie, wo die Ankläger sind. Ich verstehe seine Frage als Hinweis darauf, daß so eine Verurteilung keinen Sinn macht, weil auch die Ankläger nicht ohne Schuld sind. Jesus spricht sie frei: Du darfst gehen. Du mußt hier nicht mehr am Pranger stehen, ich verurteile dich nicht.
Und dann kommt: Sündige von jetzt an nicht mehr!. Wir wissen gar nicht, ob die Frau Sündenerkenntnis hatte. Vielleicht dachte sie, oder sagte sogar: Wieso, wir lieben uns doch!
Das kann ich aber eigentlich nicht glauben, denn die Begegnung mit Jesus Christus verändert Menschen, damals wie heute. Und wahrscheinlich hat diese Begegnung ihr eher den Mut gegeben, aus dem Ehebruch auszusteigen, mehr als der Druck und die Angst vor den Pharisäern. Denn die mögliche Strafe kannte sie vorher schon.
Wer wollen wir eigentlich in dieser Geschichte sein?
Wollen wir eher wie die Pharisäer sein, die Recht haben, es lauthals verkündigen und Argumente wie Steine bereithalten?
Oder wollen wir eher wie Jesus sein, der das Wohl der Beteiligten im Blick hat, auch unangenehme Wahrheiten ausspricht, aber so, daß es helfen kann?
Das muß jeder für sich überlegen.
Zusammenfassung
So richtig sicher, wen das Thema der heutigen Predigt betrifft, kann man nie sein. Manch einer wird von seinem Wesen her vielleicht nur ganz selten andere vorschnell beschuldigen oder kritisieren, andere kommen da oft an ihre Grenzen.
Aber genauso, wie Jesus den Pharisäern die Augen geöffnet hat, möchte er auch uns helfen und verändern.
Folgende Punkte hatten wir:
- Beschuldigungen und Verdächtigungen muß man genau prüfen, alles leichtfertig Hinausposaunte ist Mist. Wir sollen als Christen ja Täter des Wortes sein, und nicht andere vorschnell mit unseren Worten zu Tätern machen.
- Beschuldigungen wie auch Dauerkritik kann zu einer negativen Gewöhnung mit Langzeitfolgen bei den Opfern führen.
- Bevor wir loslegen, lassen wir die Zielperson in Gedanken in eine Freistadt ziehen, damit wir Zeit und Sorgfalt zur Prüfung der Vorwürfe uns nehmen
- Nicht wie die Phärisäer mit Wort-Steinen werfen, sondern wie Jesus das suchen und sagen, was hilft.